Gen Russland ist die falsche Richtung. – Minderheiten und die aktuellen Proteste in Georgien

Europa schaut auf Georgien. In den letzten Tagen kam es zu massenhaften Protesten im Land. Sie richteten sich gegen das „Ausländische Agenten-Gesetz“ der Regierung. Angehörige von Minderheiten in Georgien beteiligten sich aktiv an diesen Protesten. Inzwischen hat die Regierung das Gesetz gekippt, doch die Kritik verebbt nicht. Wieso besonders Minderheiten aktiv sind, beleuchtet dieser Artikel.

Von Luka Kitia; Foto: Samira Bayramova, Aserbaidschanische Aktivist*innen.

Im Jahr 2022 hat Georgien, zusammen mit Moldau und der Ukraine, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt. Nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 hatten mehr als 80% der georgischen Bevölkerung für europäische Werte gestimmt und dafür, dass ihr Land ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union werden solle. Russland als nördlicher Nachbar Georgiens lehnte jedoch den pro-westlichen Kurs der Regierung Georgiens ab. 2008 griffen russische Truppen Georgien an. Es verlor 20% seines international anerkannten Territoriums. Vier Jahre später kam eine Koalition an die Macht, die den russischen Einfluss im Land sogar fördert. Der Staat erlaubt Medien offen anti-westliche und sogar pro-russische Propaganda.  Vor etwa zehn Jahren wäre es das völlig undenkbar gewesen. Es wird versucht, das „Unsagbare’’ „sagbar’’ zu machen und die russische Aggression zu relativieren. Deshalb wirft die pro-europäische Opposition in Georgien der Regierung vor, pro-russisch zu sein.

In diesem Jahr verschärfte sich die Situation noch. Anfang März stimmte das georgische Parlament für das „ausländische Agenten-Gesetz“. Nach dem Gesetz müssten sich alle NGOs, die Gelder aus dem Ausland erhalten, als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Die Ähnlichkeit zum „Ausländische Agenten-Gesetz“, das seit 2012 in Russland gilt, liegt auf der Hand. Dessen Folgen waren verheerend. In den letzten zehn Jahren wurde der Raum für zivilgesellschaftliches Handeln immer enger. Aktivist*innen wurden kriminalisiert und verfolgt, NGOs mussten schließen, Menschenrechtsaktivist*innen mussten ins Ausland fliehen. Für ethnische und religiöse Minderheiten war das Gesetz besonders gravierend, denn viele gesellschaftliche Organisationen, die sich mit den ethnischen oder religiösen Minderheiten Russlands beschäftigten, erhielten Projektfördermittel aus dem Ausland.

Das Gesetz führt zu großer Empörung in der georgischen Gesellschaft. Viele Tschetschen*innen, die zusammen mit Georgier*innen in Tiflis protestierten, befürchten eine ähnliche Entwicklung wie in Russland. Auch viele Anhänger*innen der georgischen evangelisch-baptistischen Kirche waren aktiv an den Protesten der letzten Tage beteiligt. Die Bischöfin Rusudan Gotsiridze ist eine der wichtigsten Figuren unter den Protestierenden. Die einflussreichste Institution in Georgien – die georgisch-orthodoxe Kirche – unterstützt diese Proteste jedoch nicht. Deshalb diffamieren konservative Politiker*innen und die Regierung die Protestierenden als „Feinde der Kirche’’ oder „Heimatlose“. Etwas liberalere Priester der georgischen Kirche gingen aber gegen das Gesetz auf die Straße. Ein Priester öffnete sogar die Kashueti-Kirche in der Nähe der Demonstrationen, um die verletzten Aktivist*innen zu betreuen.

Auch der tschetschenische Aktivist aus dem georgischen Pankissi-Tal, Malkhaz Machalikashvili, Vater des ermordeten Temirlan Machalikashvili, übernahm eine führende Rolle bei den Protesten. Mingrelische Aktivist*innen, die für die Erhaltung und Anerkennung ihrer bedrohten, autochthonen Sprache kämpfen und mit ausländischen Organisationen kooperieren wollen, befürchten, dass sie wegen ihres Aktivismus als „Agenten’’ abgestempelt werden könnten. Deswegen kritisiert der mingrelische Aktivist Irakli Bukia dieses Gesetz und unterstützt Georgiens Beitritt in der EU. Die russische Politik gegenüber indigenen Völkern dürfe nicht als Vorbild für Georgien dienen, so ist er überzeugt. Dann solch eine Politik stellt eine akute Bedrohung der mingrelischen Sprache und Identität dar.

Auch viele Aktivist*innen der aserbaidschanischen Minderheit waren aktiv. Die georgisch-aserbaidschanische Aktivistin Samira Bayramova sagte: „Unter 76 Abgeordneten, die für das russische Gesetz gestimmt haben, waren zwei Aserbaidschaner. Ich entschuldige mich im Namen dieser Verräter.‘‘

Mit dem Ergebnis, dass das umstrittene Agenten-Gesetz zurückgezogen wurde, sind die meisten Demonstrierenden zufrieden. Jedoch gibt es einige Aktivist*innen, die mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden sind und eine neue, anti-russische Regierung fordern, die Abchasien unddas sogenannte Südossetien militärisch einnehmen würde. Das sieht die Mehrheit der Bevölkerung als eine radikale Position. Die Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten teilen die radikalen, nationalistischen Forderungen in Bezug auf Abchasien nicht und stehen für die neutralere Politik der Regierung. Sie fordern mehr demokratische Reformen und den Beitritt Georgiens in die Europäische Union.

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