Ein Netflix Film, die Hazara und die erste Bürgermeisterin Afghanistans

Über einen fehlerhaften Netflix-Film, welcher die angeblich erste Bürgermeisterin Afghanistans begleitet, produziert von der Medien-Firma HiddenLight Productions der Clintons, und die Rolle der Hazara.

Von Ferdinand Witthuhn

Vor kurzem wurde auf Netflix der Film ‚In Her Hands‘ veröffentlicht. Das verbindende Element zu diesem Blogeintrag: Thema des Films ist die erste Bürgermeisterin Afghanistans[1].

So weit so gut, eklatant ist hierbei jedoch, dass der Film in seiner momentanen Fassung[2] Fehler enthält. So wird Zarifa Ghafari als erste Bürgermeisterin Afghanistans vorgestellt[3], in Wahrheit ist sie jedoch die dritte Bürgermeisterin Afghanistans [Bolaq][4]. Eine Information, die für die Produktionsfirma des Films nicht schwer aufzufinden sein sollte – gängige Suchmaschinen liefern genügend Ergebnisse zu dem Thema [Aljazeera] [The Guardian] [Watson Institute]. Besagte Produktionsfirma ist die HiddenLight Productions, bekannte Mit-Gründer*innen und Executive Producer des Films sind Chelsea und Hillary Clinton.

Um die Rolle der Hazara in dieser Geschichte zu erzählen, zunächst eine kurze Vorstellung der ersten beiden Bürgermeisterinnen Afghanistans. Die erste Bürgermeisterin der seinerzeit demokratisch, islamischen Republik war Azra Jafari. Sie kam in Afghanistan zu Welt, wuchs jedoch im Iran auf. 2002 kehrte sie in ihr Geburtsland zurück. Sie ist Angehörige der Ethnie der Hazara [Brown Political Review] [KabulPress]. Das Amt der Bürgermeisterin wurde ihr im Dezember 2008 durch Ernennung mittels des damaligen Präsidenten Afghanistans zuteil. Ihr Amt übte sie in der Stadt Nili, Provinz Daikondi, aus. Nach eigenen Angaben musste sie das Amt nach vier Jahren aufgrund dauernder Bedrohung gegen sie niederlegen.

Vertreterin der Hazara ist auch die zweite Bürgermeisterin Afghanistans, Khadija Zahra Ahmadi. Sie ist 10 Jahre nach Jafari auch zur Bürgermeisterin von Nili ernannt worden, hat diesen Posten jedoch 2021 nach der Eroberung des Landes durch die Taliban niedergelegt. Auch sie ist im Iran aufgewachsen, dort jedoch auch geboren worden, nachdem ihre Eltern Afghanistan nach der sowjetischen Invasion im 20. Jahrhundert verlassen haben [Think Europe] [Bolaq].

Zarifa Ghafari wurde 2019 als dritte Bürgermeisterin Afghanistans für die Stadt Maidan Shahr, Provinz Wardak ernannt. Sie ist in Afghanistan geboren, floh nach der Machtübernahme der Taliban 2021 nach Deutschland. Sie ist Angehörige der Paschtunen, denen fast die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans angehört.

Problematisch an dem Narrativ in ‚In Her Hands‘ ist: Es wird ausschließlich eine Paschtunin fokussiert, andere Ethnien werden in dem Film leider nicht berücksichtigt.

Schließlich sind die Hazara ein seit langem unterdrücktes Volk – unterdrückt auch von den im Land lebenden Paschtunen. So beging der paschtunische Emir von Afghanistan Ende des 19. Jahrhunderts einen Genozid an den Hazara, nachdem diese gegen Landnahme nomadisierender Paschtunen aufbegehrten [NZZ]. Unter den Attacken der Taliban litten die Hazara: Sie waren die einzige Minderheit, die immer wieder gezielt angegriffen worden sind [NZZ]. Gezeichnet ist diese Verfolgung auch von Religionsstreitigkeiten: So sind die Hazara überwiegend Schiiten, ihre Unterdrücker meist Sunniten. Wobei es auch hier Ausnahmen gibt, wie die Hazara in der Provinz Baghlan zeigen. Dort sind um die 80% der Hazara Sunniten. Sie werden trotzdem von den Taliban und Paschtunen verfolgt und getötet [NZZ]. Allein die Existenz der Hazara an sich stellt für viele Menschen Afghanistans also ein Feindbild dar.

Teile der Hazara wehren sich gegen ihre Unterdrückung mit Gewalt, organisiert in Milizen. Eine bekanntere Miliz, der sich mehrere Hazara angeschlossen haben, ist die Fatemiyun-Brigade. Sie wurde vom Iran gegründet und unterstützt das Assad-Regime in Syrien. Dementsprechend bestehen die Milizen meist aus Hazara, welche im iranischen Exil rekrutiert werden [The Washington Institute] [nd].

Dieses Thema ist auch verbunden mit der vergangenen Fußball-WM in Katar: Islamistische Organisationen, welche die Hazara verfolgen, werden von der Regierung Katars unter anderem finanziell unterstützt [GfbV].

Die Netflix-Produktion verbreitet also grundlegend falsche Informationen. Allein deshalb muss der Film dringend vom Netz und die enthaltenen Informationen korrigiert werden! Außerdem wird mit der derzeitigen Fassung eine Chance vertan, die Diskriminierung der Hazara zu beleuchten und über deren Lage in Afghanistan aufzuklären.


[1] Es wird sich auf den Zeitraum ab dem Jahr 2001 bezogen, seitdem Afghanistans politische Landschaft durch die Intervention der NATO neu geordnet wurde.

[2] Stand 09.12.2022

[3] Vgl. 28:46 min des Films

[4] Es gibt eine Petition, welche die Richtig-Stellung der Fakten in ‚In Her Hands‘ fordert: https://chng.it/hqFtfyH5Cc

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