Yasi, wie war dein Leben im Iran? – Ein Interview über das Leben von Frauen im Iran vor der Revolution  

Triggerwarnung: Gewalt, Tod

Seit nun fast sechs Monaten protestieren besonders junge Menschen im Iran gegen das vorherrschende Regime. Ausgangspunkt war der Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini, die von der iranischen Sittenpolizei aufgrund eines angeblich fehlerhaft getragenen Hijab verhaftet wurde. Die Menschen wollen eine Revolution gegen das iranische Regime erreichen. Auch weltweit gehen Menschen auf die Straße, um sich mit den Betroffenen im Iran zu solidarisieren.

Praktikantin Laura Blanke hat sich mit Yasi getroffen. Mit ihr hat  Laura über ihr Leben und ihre Erfahrungen im Iran gesprochen und mit welchen Schwierigkeiten besonders Frauen dort täglich konfrontiert werden. Yasi lebte 25 Jahre in der iranischen Hauptstadt Teheran und wohnt seit April in Göttingen, um ihren Master in Linguistik zu absolvieren.

Interview: Laura Blanke; Foto: Solidaritätsprotest mit der Zivilgesellschaft im Iran von Tim Dennell, Flickr

Wie sah dein Alltag im Iran im Vergleich zu dem Alltag hier in Deutschland aus?

Ein normaler Alltag ist nicht so anders im Sinne von Arbeit, Uni, Verkehrsmitteln und so weiter. Aber wenn man genauer hinschaut, ist es ganz anders. Im Iran darf ich nur mit einem Hijab und einem Mantel nach draußen gehen. Es gibt auf den Straßen und auf besonderen Plätzen Polizei, die Hijab Polizei. Es gibt auch normale Menschen, die zwar keine Polizisten sind, aber auch Probleme damit haben, wenn Frauen einen schlecht sitzenden Hijab tragen. Also man kann jeden Tag hören „Du musst deinen Hijab richtig tragen“ oder „Pass auf, dass dein Mantel nicht zu kurz ist“. Im Iran gibt es keine besonderen Aktivitäten für die Freizeit. Unsere Hauptaktivität war es einfach in einem Café zu sitzen, zu reden, etwas zu essen, Karten spielen und vielleicht zu rauchen . Es gibt auch Parks, aber dort ist man nicht in Sicherheit. Da gibt es viel Hijab Polizei. Ich war zum Beispiel einmal in einem Park nach der Uni und die Hijab Polizei hat mich verhaftet. Nach diesem Tag war ich nicht mehr in einem Park, ich hatte immer Angst.

Und die Polizei hat dich einfach so verhaftet?

Ja. Wir waren auf dem Boden und haben nur geredet. Fast alle Mädchen in diesem Park wurden verhaftet, damit sie das Auto voll machen können.

Und was war ihr Grund?

Das ist eine wichtige Geschichte. Sie haben mir gesagt, dass mein Mantel zu kurz ist. Eine Freundin von mir hatte auch so einen kurzen Mantel, aber die Polizisten meinten zu mir `Du hast dicke Beine und das ist schlimmer als deine Freundin, denn Männer können dich einfacher sehen, weil du dicker bist.‘ Und das ist lustig, weil das Auto hatte nur noch einen Platz und daher mussten sie zwischen mir und meiner Freundin entscheiden. Sie haben dann mich verhaftet. Im Iran gibt es auch eine Art Belästigung von den Männern, also sie belästigen manchmal Frauen mit sexuellen Sätzen oder mit Blicken oder manchmal, wenn niemand da ist, auch mit anfassen usw. Die Polizei unterstützt die Frauen nicht. Du kannst dann nichts machen, nur fliehen. Die Polizei würde in 90% der Fälle nur sagen: ´Du hast selber etwas Schlechtes gemacht, weil du einen falschen Hijab getragen hast´, oder: ´Du warst an einem falschen Platz, da solltest du nicht sein´. Ich habe meinen Eltern zum Beispiel nie erzählt, dass mir etwas Schlimmes passiert ist, weil sie immer meinten, dass ich etwas Besseres tragen soll,und dass ich ja weiß, wie es im Iran ist, und ich selber etwas tun muss, um weniger belästigt zu werden.

Wie ging es nach der Verhaftung weiter?

Ich wurde insgesamt zweimal verhaftet. Wenn man unter 18 Jahre alt ist, muss der Vater da sein und auch etwas unterschreiben. Aber ich war über 18. Ich habe meinen Eltern nie erzählt, dass ich verhaftet wurde. Ich hatte Angst, dass sie mich nicht verstehen und mich nicht unterstützen. Meine Freunde haben dann die Kleidungen für mich gebracht und es musste kontrolliert werden, ob die neue Kleidung in Ordnung ist, und ich musste etwas unterschreiben. Das dauerte mehrere Stunden. Das zweite Mal haben sie auch in mein Handy geguckt. Sie machen das manchmal, damit niemand Fotos oder Videos von dem macht, was passiert. Wenn man im Auto irgendwie protestiert oder fragt, wohin man genommen wird, beantworten sie das nie richtig, sondern immer mit Beleidigungen und Schlägen.

Und in den Cafés warst du sicher?

Cafés waren die einzigen Plätze, an denen wir in Sicherheit waren. Da konnte man auch für eine kurze Zeit sein Kopftuch ablegen und auch mit männlichen Freunden sitzen. Die Kellner*innen waren meist selber jung und haben uns unterstützt. Für meine Eltern sah das immer komisch aus, weil ich jeden Tag im Café war. Aber ich hatte keinen anderen Ort. Ich konnte nichts anderes machen. Manchmal hat die Polizei die Cafés und Restaurants überwacht oder die Kameras kontrolliert. Seit den Protesten sind viele vorsichtiger geworden oder sind bereits geschlossen wurden.

Weltweit haben sich Menschen mit den Protesten solidarisiert.

Im Iran ist es ja verboten Alkohol zu trinken und zu tanzen. Ihr habt auch keine Bars oder Clubs. Hast du das dann heimlich mit deinen Freund*innen gemacht?

Wir haben immer gefeiert als Erwachsene, aber noch nicht als wir Schüler*innen waren, weil unsere Familien auch manchmal Probleme damit haben, wenn wir Alkohol trinken, wenn wir Freunde haben oder mit Freunden zusammen sind. Ich war das erste Mal 23 Jahre alt, als ich auch meine Freunde einladen konnte. Wir kaufen illegal Alkohol, oder wir machen manchmal Alkohol auch zuhause selber. Bier oder verschiedene Sorten von Wein. Das Hauptgetränk, das wir trinken, ist etwas wie Wodka, aber viel stärker. Diese Partys waren immer zu Hause und meistens gab es auch Probleme mit den Nachbarn. Es gibt immer Nachbarn, die Probleme haben: Mit dem Lärm, weil viele jungen Menschen zusammen sind und Alkohol trinken und tanzen und die Musik ist laut usw, Und  sie drohen damit, dass sie die Polizei anrufen. Manchmal machen sie das auch, aber normalerweise ist es nur eine Drohung, und dann gibt es einen Streit und man muss die Musik leiser machen und nicht mehr tanzen. Das ist so, aber trotzdem haben wir immer gefeiert.

Ein weiteres großes Problem ist es ja, wenn Frauen unverheiratet schwanger werden oder wenn sie sich gegenüber ihrem Mann nicht „richtig“ verhalten. Hast du so etwas auch mal mitbekommen?

Viele Familien, besonders viele Väter, töten jedes Jahr ihre Töchter für diese Dinge. Brüder und Onkel auch, also die Männer der Familie. Eine Nachricht, die weltweit auch sehr berühmt wurde, war von einer Frau, die, glaube ich, unter 20 Jahre alt war. Sie war mit einem Mann verheiratet, aber sie ist in die Türkei geflohen. Ihr Vater und ihr Onkel haben sie gefunden und haben sie überzeugt, dass alles gut sei zu Hause, und sie zurückkommen solle. Aber als sie dann wieder bei ihrem Mann war, hat er sie geköpft. Und er ist mit den Kopf in den Händen auf die Straße gegangen und hat laut gesagt, dass er diese Frau getötet hat, ‘wegen seiner Ehre, um sie wiederherzustellen, und dass er stolz auf sich ist.´ Und es gab viele Fotos von diesem Mann mit diesem Kopf in der Hand. Das ist nur eine Geschichte. Das passiert wirklich jeden Tag in Kleinstädten und Dörfern.

Denkst du, der Vater und der Onkel wussten, dass er das vorhat, als sie die Tochter zurückgeholt haben?

Ja, sie haben das zusammen gemacht. Es gibt keine besonderen Strafen für diese Dinge, wenn ein Mann seine Frau tötet, und besonders wenn ein Vater seine Tochter tötet. Es gibt keine große Strafe, ein paar Jahre Gefängnis vielleicht.

Du hast erzählt deine Eltern seien nicht so religiös, wollten aber zum Beispiel trotzdem , dass du immer einen richtigen Hijab und einen richtigen Mantel trägst. Wollten sie das, weil sie dich beschützen wollten, damit du nicht in Schwierigkeiten kommst, oder wollten sie das, weil sie auch überzeugt waren, dass es richtig so ist, wie es gerade alles abläuft? Also würdest du sagen, dass deine Eltern das System auch schon immer angezweifelt haben, oder dass sie das auch unterstützt haben?

Also meine Eltern sind gar nicht religiös. Aber wenn sie mir gesagt haben, du musst auf der Straße einen richtigen Hijab tragen, wollten sie mich beschützen, weil sie inzwischen konservativ sind, und sie hatten Angst. Sie hatten selber viele schlechte Erfahrungen und sie wollten nicht, dass sich das bei uns wiederholt.

Aber jetzt finden sie es trotzdem gut, dass sich Leute dagegen auflehnen?

Ja, meine Eltern waren immer gegen das islamische Regime. Aber jetzt machen sie nichts Besonderes, weil sie älter sind und Angst haben um ihre Kinder. Das kann ich ein bisschen verstehen und manchmal auch nicht. Das stimmt auch für alle anderen Eltern. Diese Revolution kommt eigentlich von den jungen Menschen, besonders den jungen Frauen, und nicht unseren Eltern. Ich weiß, dass sie im Herzen dafür sind, dass meine Schwester auch auf die Straße geht. Sie finden das richtig, aber sie haben auch viel Angst. Deswegen haben sie viel gestritten, aber sie geht trotzdem auf die Straße.

Gibt es Themen, über die du gerne noch reden möchtest?

Ja, gerne. Es ist zum Beispiel auch illegal, queer zu sein, also  so zu leben. Es gibt Regeln und Strafen für Leute, die homosexuelle Beziehungen haben. Sie haben viele Menschen hingerichtet. Niemand redet von diesen, denn unter den Leuten, die auf den Straßen sind oder auch unter unseren Eltern gibt es Leute, die dagegen sind. Deswegen redet man kaum drüber. Auf einer Demo in Berlin hat jemand aus dieser Community geredet. Das fand ich notwendig, aber viele Leute, die auch eine Revolution wollen, haben gesagt, das war nicht notwendig, weil das ja nicht das erste Problem im Iran sei und man könne über sowas später reden. Aber ich glaube, das ist ein wichtiges Thema, und wir müssen jetzt darüber reden. Es gibt kein Später, entweder jetzt oder nie. Es ist eine progressive Revolution. Alle, die nicht diese Denkweise haben, müssen das lernen.

Was denkst du, kann man von hier aus machen, um die Menschen im Iran zu unterstützen oder um sich zu solidarisieren?

Es gibt jetzt zum ersten Mal Unterstützung von der ganzen Welt und das ist wirklich ein neues Erlebnis. Das ist das erste Mal, dass die Welt uns sieht und reagiert. Zuerst ist es wichtig, dass einfach alle Menschen wissen, was passiert und warum es passiert und was die Leute im Iran erreichen wollen. Und danach müssen sie die Politiker zwingen, etwas zu machen. Die Idee war immer, dass alle Leute, die irgendwie mit dem Regime im Iran verbunden sind, nicht in Europa, Kanada und den USA einfach wohnen und frei sein können, denn sie sind kriminelle Menschen. Diese Leute müssen rausgeschmissen werden und Botschaften und alle Verhandlungen mit diesem Regime müssen beendet werden. Alle müssen diese Revolution anerkennen und unterstützen. Die Leute müssen ihre Regierungen zwingen das umzusetzen, denn wir können das nicht machen. Samstags sind beispielsweise weltweit Demos, auf denen man sich mit den Iraner*innen solidarisieren kann.

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