„Wer pro-serbisch ist, stellt sich nicht auf die Seite von Massenmördern und Kriegsverbrechern und wer Jugoslawien nachtrauert, indem er sich auf die Seite von Massenmördern und Kriegsverbrechern stellt, hat Jugoslawien nicht ganz verstanden.“
Von Stephan Müller, Politikwissenschaftler; Foto: Peter Handke (Wikimedia Commons)
Seit Peter Handke die Reinheit der serbischen Drina besungen hat, auch wenn er an ihrem bosnischen Teil war und die Schwaden des Blutes der ermordeten Bosniaken und Roma darin, partout nicht sehen wollte, halte ich ihn entweder für ein trotzköpfiges Kind oder für einen bösartigen, unwissenden Erwachsenen, der sich einen Spaß daraus macht, Zehntausende von Opfern und Hunderttausende von Überlebenden zu verhöhnen.
Dass Handke pro-serbisch sei, dass er Jugoslawien nachtrauere – alles Kokolores. Wäre er pro-serbisch gewesen, hätte er sich gegen Milosevic, die anderen Schreibtischtäter und seine Gewalttäter gestellt. Hätte er Jugoslawien nachgetrauert, hätte er sich gegen Milosevic und seine Verbrechergang gestellt.
Milosevic ging es nicht um den Erhalt eines einheitlichen Jugoslawiens, in dem alle Nationen gleichberechtigt und frei leben können und das ein moderner, demokratischer Rechtsstaat ist. Milosevic wollte ein Groß-Serbien mit den Serben als dominierende Ethnie. Andere Ethnien, die dem im Weg standen, wie die Bosniaken und Roma im von Handke besungenen Drina Tal, wurden dann umgebracht oder vertrieben.
Der Krieg in Bosnien und Herzegowina hatte viele Facetten, aber er war auch ein Krieg des Dorfes gegen die Stadt. Es war damit ein Krieg vordemokratischer, illiberaler, autoritärer Vorstellungen in einem mono-ethnischen Milieu gegen moderne, demokratische, liberale Vorstellungen in einem multi-ethnischen oder un-ethnischen Milieu.
Es war auch ein Krieg der Vernachlässigten vom Lande gegen die Bevorzugten, die Überheblichen in den Städten. Und Milosevic und Konsorten wie Karadzic förderten die vordemokratischen, illiberalen, autoritären und mono-ethnischen Vorstellungen mit dem Ziel der Zerstörung der Moderne unter dem Vorwand der Unterstützung der Benachteiligten.
Diese Ethnisierung stellte viele Menschen vor ein Problem, denn sie wussten nicht was sie sind. Ein Viertel der Bevölkerung Bosnien und Herzegowinas war sowohl als auch serbisch oder kroatisch oder bosniakisch oder weder noch.
In Städten wie Sarajevo und Tuzla konnten die Menschen lange dem Gift der Ethnisierung widerstehen und viele waren Jugoslawen, Bosnier oder Einwohner Tuzlas oder Sarajevos, aber irgendwann – und wenn es nach dem Krieg war – wurde jede und jeder gezwungen, sich zu deklarieren. Serbe zu sein oder zu werden, Bosniake zu sein oder zu werden, Kroate zu sein oder zu werden oder zu fliehen – wenn man nicht schon vorher vertrieben worden ist.
Für die Menschen außerhalb Bosnien und Herzegowinas hieß die Frage nicht, pro-serbisch zu oder anti-serbisch zu sein, sondern auf der Seite von Massenmördern und Kriegsverbrechern zu stehen oder nicht. Dass auch in der Öffentlichkeit stehende Personen von anti-serbischen Einstellungen geleitet worden sind, steht außer Frage. Genauso steht es außer Frage, dass die Weltgemeinschaft mal wieder nicht nur versagt hatte, sondern selbst zu den Kriegsverbrechen beigetragen hat. Lange Zeit genoss Milosevic und seine Idee eines Groß-Serbiens, die mit ethnischen Säuberungen einhergegangen ist, die Unterstützung westlicher Staaten.
Handke hat sich entschieden und hat sich auf die Seite von Massenmördern und Kriegsverbrechern gestellt, bewusst und wissend, was geschehen ist und was er damit tut. Wer pro-serbisch ist, stellt sich nicht auf die Seite von Massenmördern und Kriegsverbrechern und wer Jugoslawien nachtrauert, indem er sich auf die Seite von Massenmördern und Kriegsverbrechern stellt, hat Jugoslawien nicht ganz verstanden.
Es waren Teile der Armee Jugoslawiens, die im Auftrag der serbischen Regierung mit paramilitärischen Einheiten den Krieg in Bosnien und Herzegowina begonnen hatte. Erst in einem nächsten Schritt wurde es zu einem Krieg, in dem die Armeen der drei großen Ethnien Bosnien und Herzegowinas einander bekämpften.
Die Freischärler wie die Kriminellen des Milosevic Verbrecherfreundes Arkan waren die Schreckensverbreiter. Sie begannen den Krieg mit an Zivilisten begangenen Massakern. Im vom Handke besungenen Tal der Drina ging es in Bijeljina los, dann Janje und dann Zvornik und dann weiter in den Süden, Bratunac, Srebrenica, Visegrad, Gorazde, Foca. Die Verteidigung Jugoslawiens heißt Zivilisten massakrieren, bloß weil sie Bosniaken oder muslimische Roma waren? Bullshit.
Handke hat sich einen veritablen Spaß daraus gemacht, seine Rolle desjenigen, der anders ist, nicht mit der Masse geht, der Außenseiter ist, weiterzuspielen. Übersehend, dass er nur in einer anderen Masse aufgegangen ist – der Masse der Verbrecher, Kriegsgewinnler und Völkermordleugner, die es damals wie heute zuhauf gibt.
Handke baute darauf, dass es genügend Zyniker, unwissende Trottel, linke Apologeten, Nationalisten und Anti-Moralisten in den Feuilletons oder in Sportredaktionen gibt, die zu ihm stehen und ihn verteidigen werden. So war es 1996 und so ist es heute.
So hat sich ein deutscher Kritiker dazu herabgelassen nach der Nobelpreisverleihung an Handke zu sagen, die politische Korrektheit habe eine krachende Ohrfeige erhalten, eine Niederlage erlitten. Das tut schon weh, wenn ein Kritiker sich freut, dass die verhöhnten Opfer von Massenmördern oder das Auftreten gegen Kriegsverbrecher eine krachende Ohrfeige erhalten haben. Noch mehr schmerzt es, dass ich seine Sendung gerne sehe. Aber Kenner der Literatur müssen nicht schlau und gut sein. Sie können auch anders sein und reden wie ein AFD Hinterbänkler. Auch sie passen sich dem neuen Mainstream des Relativierens an und vergessen das Denken.
Handke wusste, dass die Mär vom Anti-Anti-Serben bei vielen ankommen wird, da die Mär dem vorherrschenden gesellschaftlichen Narrativ widersprach. Darin liegt ja eine weitere Perversität des Ganzen, dass auch Vertreter der Linken einen Apologeten unterstützen, der Vertreter einer Vorstellungswelt unterstützt, die faschistoiden Denken näher ist als einem sozialistischen, linksliberalen oder humanistischen Denken. Zumindest ordne ich die Ermordung oder Vertreibung von Menschen alleine aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit nicht der sozialistischen, linksliberalen oder humanistischen Vorstellungswelt zu; auch wenn es die Praxis im pervertierten Realsozialismus gegeben hat.
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Zvornik liegt an der Drina. Gorazde liegt an der Drina. Ich habe ab 1993 über Jahre hinweg zu Kriegsverbrechen in Zvornik gearbeitet. Innerhalb kürzester Zeit war die gesamte nicht-serbische Bevölkerung ermordet, vertrieben oder in Lager gesperrt und sie waren die Mehrheit vor dem Krieg. Viele der verbliebenen Serben hatten Angst vor den serbischen Paramilitärs, denn auch mit ihnen konnten Kriminelle wie Arkan oder die politische Führung machen was sie wollen. Handke hätte mehr mit diesen Menschen an der Drina sprechen können, aber wie, er spricht ja ihre Sprache nicht.
Ich habe die Schilderungen von Folterungen in den Lagern der serbischen Freischärler lesen müssen, bis mir schlecht wurde. Wie einem ein Grillspieß in den After eingeführt wird und Du weißt, dass dies tatsächlich passiert ist, Du den Menschen kennst und vor kurzem noch auf ein Bier mit ihm warst. Handke wäre mit einem solchen würdevollen Mann wohl nie ein Bier trinken gegangen.
Nach dem Krieg habe ich in Gorazde gearbeitet, das während des Krieges mehr als drei Jahre eingekesselt war. Ich habe mir die Erzählungen der Menschen über Beschuss mit Granaten, über das Zielschießen der Scharfschützen von den Hügeln auf Kinder, die zur Schule gingen und über das Hungern angehört, habe den Arzt aus dem Krankenhaus zugehört, der ohne Narkose Amputationen durchgeführt hat und zum Wrack geworden ist, da er als Arzt unzähligen Menschen grauenhafte Schmerzen zufügen musste. Gut 3000 Menschen starben in Gorazde – und nicht nur Bosniaken, sondern auch Serben. 1996 gab es kein einziges Haus in Gorazde, das nicht zerstört oder beschädigt war – kein einziges, ich habe sie alle gesehen. Handke hat sich die Häuser in Gorazde nie angeschaut.
Oft war ich in anderen Städten an der Drina wie Visegrad und Foca, habe im Kofferraum Serben aus den beiden Städten nach Gorazde gebracht und Bosniaken aus Gorazde nach Visegrad oder Foca. Ich habe Serben in beiden Städten getroffen, die vor Schande geweint haben, was im Namen Serbiens und der Serben geschehen ist.
Handke hat diese Serben nie treffen wollen und hat auch Glück gehabt, dass er diese Menschen nie getroffen hat, denn sie hätten ihm ihre Meinung gegeigt, dass ihm die Füßchen in der Drina kalt geworden wären.
Wie er auch Glück hatte, dass er die Mörder, deren Führern er huldigt, nicht getroffen hat. Handke war weder Serbe noch serbisch-orthodox (zumindest damals) und wäre in den von ihm in Frage gestellten ethnischen Säuberungen Opfer derjenigen gewesen, die ihm im Tal der Drina nichts getan haben.
Bei einem ersten Besuch in Visegrad bin ich über die berühmte Brücke gegangen – zum kleinen Teil als Referenz an Ivo Andric. Vor allem aber dachte ich an die vielen Menschen, welche die Cousins Lukic mit ihren Weißen Adlern während des Krieges ermordet haben. Ich sehe mich noch heute, 23 Jahre später, wie ich damals den Boden der Brücke und die Ritzen in den Seitenwänden nach Blutspuren absuchte. Ich habe keine gefunden wie ich auch keine Bosniaken und Roma mehr in der Stadt gefunden habe. Handke hat keine Blutspuren gesucht.
Als 1996 der Vorabdruck Handkes abscheulicher Reise an die Drina in der Süddeutschen Zeitung erschienen war, wurde mir wieder schlecht – so wie mir schlecht wurde als ich die Folterungen in den Lagern lesen musste.
Ich konnte nicht glauben, dass eine Zeitung wie die Süddeutsche so ein verlogenes, bösartiges Pamphlet abdruckt und dass ein Schreiber wie Handke so viel Bösartigkeit in sich hat. Die Bagatellisierung eines Völkermords als feuilletonistische Provokation. Wie tief kann eine Zeitung sinken. Dachte ich damals. Und dann dachte ich noch, welcher Völkermord wird als nächster bagatellisiert oder welcher Mörder wird als nächstes verteidigt? Das wird man doch schreiben dürfen, wenn es nur romantisch intellektuell geschrieben ist, dachte ich mir noch.
All das was ich gesehen habe, was mir erzählt wurde und was ich gelesen habe, hat so also gar nicht stattgefunden? Denn wenn Ereignisse in Frage gestellt werden, ob sie denn tatsächlich so stattgefunden hätten, wird impliziert, dass es nicht so gewesen ist, wie andere es vorgeben zu wissen.
All das, worüber ich Jahre gearbeitet habe, löste Handke wie eine Schimäre auf. Indem er seine Füße ein paar Tage in Flüssen mit serbischen Wasser baumeln ließ, erkannte und begriff er, wozu andere nicht in der Lage waren.
Ich habe seine Ode an die reine, serbische Drina damals mehr als einmal gelesen und wollte auch eine Erwiderung schreiben – konnte es aber nicht. Zuviel Wut war in mir. Zuviel Ohnmacht, dass einer, bloß weil er berühmt ist, jede Bösartigkeit, jede Unverschämtheit verbreiten kann und Zeitungen, Verlage und Theater ihm eine Bühne für seine Unmenschlichkeit bieten. Weil es ist ja Kunst, denn es kommt von einem Künstler.
Damals, nach dem Lesen seines Pamphlets bin ich als erstes in eine Buchhandlung gegangen und habe mir ein Buch von Handke gekauft. Da konnte er noch schreiben. Das war das letzte, was ich von ihm gelesen habe.
Wenn Handke Serbisch, Bosnisch oder Kroatisch könnte, hätte er oder würde er dann besser verstehen, um was es im Krieg in Bosnien und Herzegowina gegangen ist? An ein Gebäude in Sarajevo hatte ein Mensch geschrieben: ovdje je Srbija. Ein anderer schrieb darunter: Budalo, ovo je posta.
Autor: Stephan Müller, Politikwissenschaftler. Er hat in den 90er Jahren am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Wien zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Bosnien und Herzegowina und zur internationalen Politik gegenüber Bosnien und Herzegowina gearbeitet. Nach dem Krieg arbeitete er für die OSZE und weitere Organisationen in Bosnien und Herzegowina.