Rund 500.000 Sinti und Roma wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Auf Romanes heißt dieser Genozid Porajmos, was „Verschlingen“ bedeutet.
von Jan Diedrichsen, Bundesvorsitzender der GfbV; erschienen in der Tageszeitung “Der Nordschleswiger”; Foto: Auschwitz I via Flickr
In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 ermordete die SS die letzten verbliebenen rund 4.000 Sinti und Roma im so genannten „Z*g**nerlager von Auschwitz“. Am vergangenen Wochenende berichtete die jüdische Überlebende Éva Fahidi auf dem Lagergelände von Auschwitz, wo sie selbst terrorisiert und täglich vom Tod bedroht war, von dieser Nacht. Éva Fahidi ist eine der wenigen, die von dieser Nacht Zeugnis ablegen kann, als Sinti und Roma mit Steinen bewaffnet, hoffnungslos gegen Flammenwerfer antraten und allesamt in den Gaskammern ermordet wurden. Den Besuchern der Gedenkstunde in Auschwitz stockt der Atem bei dem Bericht; das Ausgesprochene zu grausam, um nachvollzogen zu werden. Am vergangenen Wochenende jährte sich die so genannte Liquidierung des „Z*g**nerlagers“ zum 75. Mal.
Der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma organisierte gemeinsam mit dem Dachverband der Roma in Polen und dem Museum Auschwitz das Gedenken auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers. Roma und Sinti aus ganz Europa, Überlebende, Widerstandskämpfer, Politiker, Minderheitenvertreter und Menschenrechtler waren angereist.
Die Gräueltaten im Konzentrationslager und der Völkermord an den Sinti und Roma bleiben unvorstellbar. Unter diesem Vorzeichen ist es um so widerlicher und unakzeptabler, dass der Antiziganismus – diese hässliche Form des Rassismus – genau wie der Antisemitismus sich in Europa auf dem Vormarsch befindet. Roma müssen in Europa wieder um ihr Leben fürchten. Hassverbrechen, bis hin zum Mord, stehen auf der Tagesordnung.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat die Europäische Kommission am Jahrestag der Liquidierung des „Z*g**nerlagers“ von Auschwitz aufgefordert, endlich einen Plan vorzulegen, wie der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Diskriminierung der rund 14 Millionen Roma in Europa begegnet werden kann. Die sog. Roma-Dekade der EU endete 2015. Die EU wollte in der Roma-Dekade die Lebensbedingungen der Minderheiten verbessern. Doch wenig ist geschehen. Die Situation der Roma bleibt katastrophal und die Diskriminierung und der Rassismus haben es bis in die Regierungen einiger EU-Mitgliedsstaaten geschafft, die derzeit wieder von der EU-Kommission umgarnt werden.
Doch es gibt auch gute Beispiele der zivilgesellschaftlichen Solidarität: Der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma, aus der Bürgerrechtsbewegung in Deutschland entstanden, hat sich als Dachverband für die deutschen Sinti und Roma auch zu einem wichtigen Sprachrohr für die bedrohten Roma in Europa entwickelt. Das war und ist nicht einfach für den in Heidelberg ansässigen Verband. Nicht wenige deutsche Sinti haben Angst. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sie sich nur ansatzweise von ihren Mitbürgern akzeptiert fühlten. „Wir wollen doch nun nicht mit den Roma, die nach Deutschland kommen, über einen Kamm geschoren werden“, so die Angst vieler deutscher Sinti.
Doch trotz der weitverbreiteten Diskriminierung gegen die deutschen Sinti und Roma üben diese Solidarität. So forderte der Vorsitzende bei dem Gedenken in Auschwitz in einer starken, kämpferischen Rede Solidarität für die diskriminierten Roma in Europa und prangerte den neu aufkeimenden Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus deutlich an. „Wir müssen kämpfen“, ruft Rose den Anwesenden zu.
Im Kleinen ist auch das deutsch-dänische Grenzland eine gute Geschichte, die es wert ist in der Europäischen Union Beachtung zu finden. Die Sinti im deutsch-dänischen Grenzland sind nach anfänglichem Fremdeln komplett in der Minderheitensolidarität integriert und aus der gemeinsamen Minderheitenarbeit nicht weg zu denken. Eine Tatsache, die Schleswig-Holstein durch die Änderung der Landesverfassung unterstrichen hat: „Die nationale dänische Minderheit, die Minderheit der deutschen Sinti und Roma und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung“, heißt es dort.
Völlig unvorstellbar erscheint es heute zu behaupten, die Sinti gehörten nicht zur Minderheitenwirklichkeit des deutsch-dänischen Grenzlandes dazu. Es hat viele Jahre gedauert, dieses Vertrauen aufzubauen. Ein Vertrauen und eine Akzeptanz, die um so deutlicher wirken, wenn man sich die Lebenswirklichkeit der Millionen von Roma in Europa vergegenwärtigt.