Seit letzter Woche greift die größte sunnitische Militärallianz unter der Führung von Saudi-Arabien die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen aus der Luft an. Die Saudis fühlten sich durch die schiitischen Rebellen bedroht und starteten deshalb mit neun alliierten Staaten die „Operation Entscheidungssturm“. Iran hingegen soll die Schiiten durch Waffenlieferungen und Geld unterstützen. Das ärmste Land des Nahen Osten droht ein weiterer Ort zu werden, in dem der Stellvertreterkrieg um die regionale Vorherrschaft zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran ausgetragen wird. Verlierer sind wie immer unschuldige Zivilisten: mindestens 75 Opfer werden bis dato geschätzt.
von Kamal Sido und Jessica Noll; Foto: Mathieu Génon
Wie auch bei anderen bewaffneten Konflikten gerät im Jemen die Zivilbevölkerung, vor allem die Minderheiten, zwischen die Fronten. So auch die ethno-kulturelle Minderheit der Achdam/Al-Akhdam. Seit dem Beginn des saudischen „Luftkrieges“ im Jemen müssen die Al-Akhdam ihre Hütten aufgeben und Zehntausende von ihnen fliehen. Mindesten 15 Al-Akhdam sind bisher bei Luftschlägen getötet worden und 25 wurden verletzt.
Embed from Getty Images“Wasch deinen Teller, wenn ein Hund ihn berührt hat, aber schmeiß ihn weg, wenn ein Al-Akhdam ihn angefasst hat”, besagt ein jemenitisches Sprichwort über die Al-Akhdam, die sich im Jemen am Rand der Gesellschaft befinden. Als Al-Akhdam, zu Deutsch “Diener”, werden jene Menschen bezeichnet, die ursprünglich vom afrikanischen Kontinent kommen.
Zwischen 500.000 und 1,25 Millionen Menschen dieser ethnischen Minderheit leben im Wüstenstaat, der eine Bevölkerungszahl von rund 25 Millionen Einwohner aufweist. Wie die meisten Jemeniten sind die Al-Akhdam Arabisch sprechende Muslime, jedoch gehören sie keinem der drei großen jemenitischen Stämme Hamdan, Hamir und Kanda an. Ihre Herkunft ist wissenschaftlich noch nicht lückenlos geklärt, jedoch wird angenommen, dass sie ursprünglich aus Äthiopien in den Jemen kamen. Die Al-Akhdam sind die einzige ethnische Minderheit im Land, die sich nicht auf die Araber zurückführen lässt. Darin liegt der Hauptgrund ihrer Diskriminierung. Vor allem die Sayyids, Stammesherren, betrachten sich als Araber und somit Menschen höheren Ranges: Die Al-Akhdam könnten ihrer Ansicht nach als Nicht-Araber niemals die Werte und Moralvorstellungen der arabischen Kultur erreichen.
Nährboden für die Diskriminierung bietet auch die große Rolle kultureller Mythen im Jemen: Einer Legende aus dem sechsten Jahrhundert zufolge stammen die Al-Akhdam von Abraham Ashram ab, einem Christen aus Äthiopien, der zu jener Zeit die jemenitischen Kampftruppen bezwungen haben soll. Allerdings wurde er von persischen Truppen geschlagen. Ashram floh zurück nach Afrika, ließ jedoch einige Soldaten im Jemen zurück. Die Soldaten und ihre Nachfahren wurden von der jemenitischen Gesellschaft geächtet – sie galten als verflucht und wurden versklavt.
Diese Ächtung setzt sich bis heute fort. Die Demütigung hat unterschiedliche Facetten, sei es in Form von wirtschaftlicher Marginalisierung, sozialem Ausschluss oder physischer Gewalt. Schon die arabische Bezeichnung “Al-Akhdam”, “Diener”, spiegelt auf sprachlicher Ebene die Geringschätzung wider. Die Al-Akhdam bezeichnen sich selbst als “Al-Muhamasheen”, was so viel heißt wie “die an den Rand Gedrängten”. Das geschlossene, kastenähnliche Gesellschaftssystem im Jemen macht es den Al-Akhdam unmöglich, gesellschaftlich aufzusteigen.
Die Al-Akhdam leben unter unmenschlichen Bedingungen. Eine ältere Frau erzählt[1], dass sie sich nicht erinnern könne, wann die Diskriminierungen angefangen haben. Sie habe schon als Kind die Unterdrückung ihrer Gemeinschaft wahrgenommen. Die Angehörigen ihrer Ethnie müssten wie Tiere hausen, wie ein ausgestoßener Rest der Gesellschaft. Die Al-Akhdam finden auf Grund der starken Ressentiments oft keine Wohnung. Sie leben deshalb meist in provisorischen Plastikzelten auf der Straße, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes. Da sie als “Illegale” betrachtet werden, laufen sie täglich Gefahr, von öffentlichen Plätzen vertrieben zu werden. Viele lassen sich deshalb in ausgetrockneten Flussbetten nieder. Diese werden vom Rest der Bevölkerung oft als Mülldeponien genutzt – hier werden die Al-Akhdam geduldet. Wenn die Flüsse im Winter anschwellen, werden auch ihre kleinen Hütten oder Zelte überflutet und fortgerissen.
Embed from Getty ImagesDer 25-jährige Muhsin Al-Qasimi beschreibt seine Lage als aussichtslos: “Wir haben keinen Zugang zum Bildungssystem. […]. Wir besitzen noch nicht einmal einen Pass, weil wir gar keine Geburtsurkunden haben. […] Wir sind gefangen in grausamer Ungerechtigkeit. […] Ärzte und Krankenschwestern wollen uns nicht anfassen, weil sie unsere Körper nicht berühren wollen. Oft haben wir unsere Kinder im Arm und können ihnen nicht helfen, weil wir sie nicht ins Krankenhaus bringen können.”
Die Vorurteile gegenüber den Al-Akhdam sind selbst in höheren Bildungsschichten fest verankert. Al-Akhdam-Frauen gelten bei arabischen Männern als “stets verfügbar” und sind deshalb besonders von sexueller Belästigung und Missbrauch bedroht. Männer hingegen erfahren eher symbolische Gewalt. Es ist ihnen beispielsweise nicht erlaubt, den traditionellen Dolch[2] zu tragen. In der jemenitischen Gesellschaft kommt dies einer öffentlichen Entmannung gleich.
Den Al-Akhdam wird auch in wirtschaftlicher Hinsicht jegliche Existenzgrundlage genommen; der Zugang zum Arbeitsmarkt wird ihnen verwehrt, weil sie als wertlose Menschen angesehen werden. Alles, was ihnen bleibt, ist das Sammeln von Müll. Vor allem der Norden des Landes ist landwirtschaftlich geprägt, Landbesitz ist den Al-Akhdam jedoch nicht gestattet. Folglich müssen sie sich als Wanderarbeiter verdingen. Davon allein können sie aber nicht leben. So sind sie zusätzlich auf Almosen angewiesen. Weil die Älteren auf der Suche nach Arbeit von Stadt zu Stadt ziehen müssen, werden ganze Familien auseinandergerissen. Die menschenunwürdige Situation der Al-Akhdam ist außerhalb des Jemens kaum bekannt. Deshalb blieb der Druck von außen auf die jemenitische Regierung bisher äußerst gering.
[1] http://www.rnw.nl/arabic/article/690643
[2] Der Dolch ist das sichtbare Zeichen der Stammeszugehörigkeit, das vor allem Angehörige eines festen Stammesverbands tragen dürfen. Er demonstriert auch die Rechtsfähigkeit und Männlichkeit seines Trägers.
Dieser Artikel erschien in unserer Zeitschrift „pogrom – bedrohte Völker“ Nr. 274, 6/2012. Aus aktuellem Anlass haben wir den Artikel leicht verändert und diesmal kostenlos auf unserem Blog abgedruckt.