Open the Gates: Politische Gefangene in Papua

Anlässlich der ersten 20 Wochen Amtszeit von Joko Widodo als Präsident Indonesiens stellen wir diese Woche jeden Tag einen politischen Gefangenen aus Papua vor. Ihre Geschichten, dokumentiert von Andreas Bracht aus unserem Asien-Referat, sind mahnende Beispiele für alle politischen Gefangenen in West-Papua. West-Papua liegt im östlichsten Teil Indonesiens. Dort befindet sich der größte Tropenwald nach dem Amazonasgebiet und unvorstellbar viele Ressourcen wie Gold, Kupfer und Erdgas. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist West-Papua Schauplatz eines anhaltenden Konfliktes zwischen der indigenen Bevölkerung und dem indonesischen Staat. Politische Willkür ist an der Tagesordnung, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten, ausländische Journalisten sowie NGOs werden nicht zugelassen und müssen selbst um ihre Sicherheit fürchten. Hunderttausende Papua sind Opfer gezielter Attacken indonesischer Sicherheitskräfte geworden, wurden unterdrückt oder gar gefoltert. Viele Experten sprechen von einem Genozid, den die Weltöffentlichkeit ignoriert.

2. März 2015: Areki Wanimbo

Areki Wanimbo wird von der Regierung beschuldigt, sich gegen den indonesischen Staat verschwört zu haben. Angeblich soll er zusammen mit den französischen ARTE-Reportern Bourrat und Dandois Hochverrat begannen haben. Die beiden Journalisten waren im Sommer 2014 mit einem Touristenvisum in die zwei abgeschotteten, östlichsten Provinzen Indonesiens gereist, um dort eine Reportage zu drehen. Daraufhin wurden sie wegen des Verstoßes gegen die Einreisebedingungen festgenommen, jedoch im Herbst aufgrund von internationalem Druck zu „lediglich“ zwei Monaten Haft verurteilt. Ihrem Informanten Areki droht hingegen eine lebenslange Freiheitsstrafe, weil er die Reporter vor den anhaltenden Unruhen in den Regionen des zentralen Hochlandes warnte und sich für ein stärkeres Mitspracherecht der indigenen Papua national und international stark machte. Um den Druck auf Areki zu erhöhen, wurden auf zwei seiner Häuser Brandanschläge verübt, während indonesische Sicherheitskräfte tatenlos zusahen. Seiner Anwältin wurden die Akten und Informationen über seinen Fall geklaut. Auch wurde sie tätlich angegriffen und musste wegen ihrer Verletzungen ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Seine Tochter wurde ebenfalls gewaltsam von Seiten der Regierung bedrängt. Während sich die indonesische Regierung durch die frühe Freilassung der Franzosen auf internationaler Bühne als barmherzig inszenierte, soll an Areki ein Exempel statuiert werden.

3. März 2015: Piethein Manggaprouw

Piethein Manggaprouw sitzt seit 19. Oktober 2013 in Haft. Er wurde zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt, weil er eine friedliche Demonstration anlässlich des zweiten Jahrestages der Third Papuan People’s Congress anführte. Der Third Papuan People’s Congress war eine friedliche Veranstaltung, in der die indonesischen Provinzen Papua und Papua-Barat ihre Unabhängigkeit deklarierten. Sie wurde von indonesischen Sicherheitskräften blutig beendet. Viele Menschen starben, die politischen Führer wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Auch die friedliche Gedenkveranstaltung, die Piethein anführte, endete durch Polizeigewalt. Piethein Manggaprouw wurde festgenommen und anschließend für Verbrechen gegen den Staat und Verschwörung schuldig gesprochen. Seine Verpflegung im Gefängnis war mit einer kargen Mahlzeit pro Tag so schlecht, dass sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechterte. Und all dies nur, weil er eine Gedenkveranstaltung durchgeführt hatte. Er ist ein weiteres Opfer der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen der indonesischen Regierung sowie deren politischer Willkür, die jedes Engagement für die benachteiligten Provinzen Papuas im Keim erstickt. Wir fordern seine sofortige Freilassung!

4. März 2015: Salomina und Isak Klaibin

Die Geschwister Salomina und Isak Klaibin wurden am 30. April 2013 verhaftet. Sie hatten an  einer friedlichen Demonstration zum Gedenken an die indonesische Annektierung des damaligen Niederländisch-Neuguinea vor 50 Jahren teilgenommen. Die ehemalige Kolonialmacht Niederlande hatte 1962 zugesichert, dass die Bevölkerung Westpapuas über ihre Zukunft durch eine Volksabstimmung selbst entscheiden könne. Doch der unter Aufsicht der Vereinten Nationen 1969 stattgefundene „Act of Free Choice“ wurde keine freie Abstimmung: Handverlesene Vertreter der indigenen Einwohner stimmten unter indonesischem Druck für die Integration der Inselhälfte in den Staat Indonesien. Die UN schweigt bis heute zu dem Unrecht, doch unter den indigenen Völkern regt sich noch immer Widerstand. Die Demonstration am 30. April vor zwei Jahren, an der die Geschwister Klaibin teilnahmen, war eine Form des Widerstands. Im Vorfeld dieses traurigen Jubiläums hatten die indonesischen Sicherheitskräfte verlauten lassen, mit harter Hand gegen jedwede Form des Widerstands vorzugehen. Die Aktivisten ließen sich jedoch nicht abhalten und trafen sich zu Gebeten. Bei der Versammlung wurden keinerlei strafbaren Aktionen wie das Hissen der Morgensternflagge, dem Unabhängigkeitssymbol, vorgenommen. Dennoch eröffnete die Polizei völlig ohne Grund und Vorwarnung das Feuer. Zwei Menschen starben direkt vor Ort, viele andere wurden verletzt. Die möglicherweise schwangere Salomina Klaibin erlag wenige Tage nach dem blutigen Vorfall im Krankenhaus ihren Verletzungen. Ihr Bruder stellte sich nach kurzer Flucht der Polizei und wurde von indonesischen Gerichten wegen versuchter Separation und Verschwörung trotz mangelnder Beweise zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Er wurde beschuldigt, Teil der bewaffneten Widerstandsbewegung in der Provinzhauptstadt von Papua-Barat zu sein. Internationale Institutionen kritisierten die Verurteilung von Isak Klaibin. Einmal mehr ist dies ein Beispiel für die Missachtung der grundlegenden Menschenrechte. Die Menschen Papuas sind alltäglich dieser politischen Willkür des indonesischen Staates ausgesetzt.

5. März 2015: Stevanus Banal

Ohne stichhaltige Beweise verbüßt der 29-jährige Stevanus Banal aus Papua eine 19 Monate lange Haftstrafe. Er wird beschuldigt, an einer Attacke auf eine Polizeistation im entlegenen Hochland der Provinz Papua im äußersten Osten Indonesiens beteiligt gewesen zu sein. Im Vorfeld des Angriffes war dort ein Papua von indonesischen Sicherheitskräften gequält und gefoltert worden. Als Stevanus festgenommen wurde, verletzten ihn die Polizisten so schwer am Bein, dass er im örtlichen Krankenhaus notoperiert und weitere fünf Wochen in der Provinzhauptstadt Jayapura stationär gepflegt werden musste. Um Druck auf Stevanus und seine Familie auszuüben, ließen die indonesischen Behörden absichtlich Krankenhaustermine verstreichen. Es dauerte Monate, bis die inneren Schienen und Schrauben von Stevanus‘ Schienbein entfernt werden konnten. Sowohl die Behandlungs- als auch die Transportkosten mit dem Flugzeug musste die Familie Banal selbst bezahlen. Selbst für die Transportkosten des mitfliegenden Wachpersonals musste sie aufkommen – eine Tatsache, welche sie an den Rand des Ruins brachte. Zurzeit ist ihre Existenz lediglich durch Spenden von regionalen und internationalen NGOs gesichert. Stevanus ist ohne einen fairen Prozess verurteilt worden. Er ist eines der Opfer von politischer Willkür in Indonesien. Die indonesische Regierung hat sich der Achtung der Menschenrechte verpflichtet. Durch sie steht jedem Menschen, ob inhaftiert oder nicht, medizinische Versorgung zu. Helfen Sie Stevanus und weiteren politischen Gefangenen in Papua.

6. März 2015: Oktovianus Warnares

Oktovianus Warnares verbüßt nach unterschiedlichen Angaben derzeit eine drei- bis siebenjährige Haftstrafe, weil er anlässlich des fünfzigsten Jahrestages der Annektierung West-Papuas durch Indonesien die Morgensternflagge hisste. Die Flagge, „Bintang Pagi“ genannt, steht für die Hoffnung auf ein freies und unabhängiges Papua, ihr Hissen wird als Akt der Rebellion und Separation angesehen und mit skrupelloser Härte bestraft. Zusammen mit fünf weiteren Männern wurde Warnares am 1. Mai 2013 verhaftet und wegen dieser Aktion sowie unerlaubtem Waffenbesitzes angeklagt. Lokale Menschenrechtsorganisationen berichten dabei von möglicherweise gefälschten nachgebauten Bomben von Seiten der indonesischen Sicherheitsbehörden. Während der Zeit in Untersuchungshaft wurde Oktovianus und seinen Mitangeklagten  jeglicher Rechtsbeistand verwehrt. Besonders traurig ist das Schicksal des erst 20-jährigen Yohanes Boseren: Er wurde von den indonesischen Sicherheitskräften so sehr gefoltert und misshandelt, dass er schwer psychisch traumatisiert und daraufhin für strafunfähig erklärt wurde. Die indonesischen Behörden verzögerten absichtlich den Beginn der Verhandlungen und die Angeklagten konnten nie auf einen fairen, rechtsstaatlichen Prozess hoffen. Die Verurteilung und die Arbeit der Staatsanwaltschaft löste national und international Bestürzung aus. Ein Verteidiger der Männer sagte: „Die Forderungen der Staatsanwalt sind völlig überhöht und zeigen, dass wir nicht in einer demokratischen, sondern in einer kolonialen Zeit leben.“ Oktovianus und viele andere Engagierte sind aufgrund politischer Willkür und fehlender Rechtsstaatlichkeit Opfer des unterdrückenden indonesischen Staates in West-Papua. Helfen Sie mit und fordern Sie den indonesischen Präsidenten auf, Menschenrechte zu achten und alle politischen Gefangen unverzüglich freizulassen!

7. März 2015: Filep Karma

Die Leidensgeschichte des für den Friedensnobelpreis nominierten Filep Karma ist schwierig in wenigen Zeilen zusammenzufassen. Seit nunmehr über 16 Jahren ist der gebürtig von der Insel Biak an der Nordküste Neuguineas stammende Filep das Opfer der willkürlichen Justiz Indonesiens. Während seines Prozesses und seiner Haft hat er alle barbarischen Methoden der indonesischen Behörden miterleben müssen. Ein voreingenommener Richter, bedrohte Verteidiger, zusammengeschlagene Verwandten und Sympathisanten, erschwerter Zugang zu medizinischer Versorgung. Diese Liste könnte man lange fortführen. In einem Radiointerview sagte Filep Karma einmal: „Ich wurde geschlagen, getreten und über den Boden geschleift. Aber die mentale Folter, der wir hier ausgesetzt sind, ist viel verletzender.“ Kaum ein Mensch steht so für das friedliche Engagement eines unabhängigeren und freieren Papuas. An einer gewalttätigen Konfliktlösung war er nie interessiert, er arbeitete sogar als Beamter für den indonesischen Staat. Bei seiner ersten Verurteilung hisste er verbotener Weise eine Morgensternflagge, das Unabhängigkeitssymbol West-Papuas. Bei seinem zweiten Prozess wurde er für 15 Jahre verurteilt, weil er der Leiter eines Gebetes war, bei dem Tumulte ausbrachen. Trotz Hunger- und Sprechstreik, um auf seine Situation aufmerksam zu machen, sitzt Filep Karma noch immer als friedlicher politischer Inhaftierte in indonesischer Haft. Er ist ein Sinnbild für die politische Willkür Indonesiens und verdeutlicht die eklatanten Menschenrechtsverbrechen, der sich Indonesien Tag für Tag in seinen östlichsten Provinzen schuldig macht.

Der neue Präsident Joko Widodo ist heute genau 20 Wochen im Amt. Er hatte im Wahlkampf versprochen, Menschenrechte zu achten und den Konflikt in West-Papua lösen zu wollen. Seine Worte lösten Hoffnung in den Menschen aus, er wurde als Obama von Indonesien gefeiert. Doch was für Obama Guantanamo ist für Jokowi Widodo West-Papua. Vergessen scheinen die Versprechen.

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