Yezidin Nehad Isa zu Gast bei der GfbV

„Frauen werden für drei Euro an Islamisten verkauft“. Nehad Isa, eine Yezidin aus Göttigen, war am 14.08. bei uns zu Gast und berichtete im Rahmen eines Pressegesprächs über das Schicksal ihrer Familie während der Katastrophe in Sinjar. Extremisten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) haben in den vergangenen Tagen das letzte Kerngebiet der Yeziden, die Region Sinjar im Nordwesten des Irak, überrannt und unter ihre Kontrolle gebracht.

von Laura Kraut

Die Anhänger der Jahrtausende alten Religion werden von IS als Feinde angesehen und als „Teufelsanbeter“ bezeichnet. Alle Yeziden und angehörige anderer Minderheiten mussten fliehen. Niemand befindet sich mehr in den yezidischen Dörfern und Städten, die Häuser wurden geplündert. Bis zu 350.000 Menschen befinden sich auf der Flucht. Yeziden gelten als vogelfrei. Wer nicht fliehen konnte und es ablehnt zu konvertieren, wurde und wird hingerichtet. Viele Sunniten, die vorher Nachbarn der Yeziden waren haben sich gegen sie gewandt und sympathisieren mit IS. Auch sie waren an Vertreibungen und Plünderungen beteiligt. Ohne sie hätte der IS nicht so weit vorrücken können.

Viele Yeziden flohen in das nahe gelegene Sinjar-Gebirge, wo sie bei 40° in der Sonne ohne Trinkwasser oder Nahrung ausharren mussten. Um die Berge sind IS-Milizen postiert, die jeden erschießen, der versucht zu entkommen. Die Menschen sind am Ende ihrer Kräfte und warten an nahezu unzugänglichen Orten verzweifelt auf Hilfe. Viele Menschen konnten dank internationaler Hilfe entkommen, Frau Isa erklärte, dass viele Iraker – darunter auch zahlreiche sunnitische und schiitische Muslime – bei den Hilfsflügen mit Helikoptern halfen.

Viele der in die Berge geflüchteten Menschen sind gestorben oder werden an den späteren Folgen der Erschöpfung und Dehydrierung sterben. Auch die teilweise Evakuierung findet bei sehr hohen Temperaturen ohne Schatten statt. Die Menschen müssen Kilometerweit zu Fuß laufen. Viele hatten keine Zeit mehr Schuhe mitzunehmen als sie flohen.

Die IS-Kämpfer töten alle Andersgläubigen, die nicht konvertieren wollen. Frau Isa berichtete, dass Frauen für drei Euro als Sklavinnen an Islamisten verkauft würden, alle Frauen sind unter IS alleine dazu verpflichtet dem Mann zu dienen. Viele IS-Kämpfer sind bereit zu sterben, um im Himmel ihre 70 Jungfrauen zu bekommen.

Nehad Isas Großmutter und mehrere Tanten flohen mit zwei Autos – in die in jedem Dorf dutzende Verwandte zustiegen – und konnten sich deshalb in die Grenzregion zur Türkei in eine zum Flüchtlingslager umfunktionierte Schule retten.

Die Yeziden fordern von der internationalen Staatengemeinschaft in erster Linie eine Sicherheitszone vor Ort. Zusätzlich sind jetzt mehr Ärzte notwendig, um die an Hunger und Durst leidenden, erschöpften Flüchtlinge sofort behandeln zu können, unterstrich der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido.

Der Flüchtlingsstrom aus dem Senjar-Gebirge (Bildquelle: Kurdische Gemeinde Deutschland e. V.)

Tilman Zülch, Nehad Isa und Kamal Sido betonen aber auch, dass es wichtig sei, die kurdischen Sicherheitskräfte und die Yeziden zu bewaffnen – um sich selbst verteidigen zu können. Im Irak gibt es bereits 1,2 Millionen Binnenflüchtlinge, 700.000 davon befinden sich in der autonomen Kurdenregion und werden dort von den kurdischen Sicherheitskräften beschützt. Die „Drecksarbeit“ dürfe nicht den Kurden alleine überlassen werden – die Europäische Union müsse aufwachen und sofort Hilfe leisten. Seit über zwei Jahren kämpfen die Kurden auch in Syrien alleine gegen IS, doch niemand unterstütz sie. Waffen und Munition werden knapp, wohingegen IS beständig von Saudi Arabien, dem „ideologischen Vater“ der Terrororganisation beliefert wird, viele Waffen von der geflohenen Irakischen Armee übernehmen konnte und immer wieder syrische Armee-Stützpunkte plündert.

Der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman Zülch, drückte sein Entsetzen über die furchtbaren Verbrechen der radikal-islamischen Extremisten aus. In diesem Zusammenhang kritisierte er auch das Zögern der deutschen Bundesregierung – vor dem Hintergrund, dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur der Welt ist, und offenbar kaum Bedenken bestanden, Saudi-Arabien mit deutscher Waffentechnik zu beliefern.

Gesetzlich ist die Bundesrepublik verpflichtet, keine Waffen in Krisengebiete zu exportieren. In vielen anderen Situationen wäre die Anwendung des Gesetzes nötig gewesen – gleichwohl verstieß die Bundesregierung in der Vergangenheit unzählige Male dagegen, beispielsweise als deutsche Waffen an Saudi Arabien, die Türkei oder das Regime Saddam Hussein geliefert wurden und damit Terrorregime unterstützt und Massenmorde verübt wurden.

Saudi Arabien wird seit Jahren mit deutschen Rüstungsgütern hochgerüstet. So lieferten deutsche Firmen mit Zustimmung der Bundesregierung 1999 bis 2013 Rüstungsgüter im Wert von 5,23 Mrd. Euro. Experten gehen davon aus, dass Saudi-Arabien der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) über die Türkei logistische und finanzielle Hilfe leistet.
Am 16. März 1988 starben mindestens 5.000 Kurden durch das Giftgasbombardement Saddam Husseins auf die Stadt Halabja – mit Giftgas aus deutscher Produktion. Die Regierung zog keine Konsequenzen.

Gerade vor diesem Hintergrund ist die Bundesrepublik verpflichtet, ihre Rüstungspolitik zu überdenken. Es muss den Menschen vor Ort möglich gemacht werden, ihr Leben und das ihrer Mitbürger gegen die Terror-Gruppe zu schützen. Außer den Kurdischen Sicherheitskräften gibt es in der Region keine funktionierende Armee mehr, die sich diesen Barbaren des 21. Jahrhunderts entgegenstellen könnte.

Der Genozid an Yeziden und anderen Glaubensgemeinschaften muss – mit allen nötigen Mitteln – verhindert werden.

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