Hexenjagd in Kenia: Nun trifft es auch die Älteren

„Heute gestehe ich, dass ich eine Hexe bin. Aber von nun an werde ich keine Hexerei mehr praktizieren.“ Mit verbundenen Augen vor einem Holzpfahl kniend wiederholen die beiden betagten Giriama die Worte des traditionellen Heilers. Es hängt von seinem Wohlwollen ab, ob der Eid akzeptiert und ihnen ihre Taten dadurch verziehen werden. Zuvor wurden ihnen bereits die Haare abgeschoren und sie wurden mit verbundenen Augen gefolgt von der Dorfgemeinschaft durch den Wald geführt. Vor der endgültigen Entscheidung durch den Heiler werden der Mann und die Frau vollständig wie ein Leichnam in weißen Stoff eingewickelt. Dieser Teil der Zeremonie dient vor allem der Abschreckung sowohl der vermeintlichen Hexen, als auch der restlichen Mitglieder der Gemeinschaft. Schließlich gibt der traditionelle Heiler seine Entscheidung bekannt: Den Angeklagten wird verziehen. Der Dokumentarfilm „Kiuye Uye-The Magic Come Back“ von Simone Grassi zeigt mit dieser Szene eindrucksvoll, welcher ständigen Bedrohung und Demütigung Giriama ab einem bestimmten Alter aufgrund von Hexereivorwürfen ausgesetzt sind.

Von Christina Peschke

Den beiden gezeigten Angeklagten ist es vorerst nicht so ergangen wie schätzungsweise 90 betagten Giriama pro Monat. Für diese enden die Hexereivorwürfe tödlich- sie werden erstochen, erschossen oder verbrannt. Oftmals sind es die eigenen Kinder oder andere nahe stehende Verwandte, die die älteren Menschen der Hexerei bezichtigen, damit ihr Schicksal besiegeln und oftmals die Ermordung eigenmächtig vollziehen.

Zeremonie von Giriama-Ältesten

Die Gründe für diese grausame Praxis sind vielfältig: In vielen Gebieten des südlichen Afrikas wird das Land an alle männlichen Nachkommen zu gleichen Teilen vererbt. Um den Vererbungsprozess zu beschleunigen, nutzen einige potentielle Erben Hexereianschuldigungen gegen ihre Eltern. Erschwerend kommt der auch in Afrika vielerorts stattfindende demographische Wandel hinzu.

Obwohl bei Weitem nicht mit den Industrieländern vergleichbar, steigt der Anteil der älteren Bevölkerungsgruppe in den letzten Jahren an. Während heutzutage noch 12% der Bevölkerung Afrikas südlich der Sahara über 60 Jahre alt sind, wird ihr Anteil bis 2050 auf 21% angestiegen sein. In Zeiten zahlreicher Hungersnöte und extremer Armut stellt die Versorgung und Pflege der älteren Verwandtschaft eine große Belastung für ihre Familien dar. Vor allem aus diesem Grund haben die Senioren in der Gemeinschaft der Giriama in den letzten Jahrzehnten ihren Status als ehrenwerte und weise Oberhäupter eingebüßt und werden vermehrt als Bürde wahrgenommen.

Zusätzlich werden graue Haare, faltige Haut und die Symptome der in Afrika weitgehend unbekannten Demenz als typische Charakteristika für Hexen (sowohl männlich als auch weiblich) wahrgenommen. Besonders während Naturkatastrophen und Epidemien wird die Schuld bei angeblichen Hexen gesucht, sodass Hexereibezichtigungen zu Krisenzeiten Hochkonjunktur haben. Das Verhalten von Angehörigen gegenüber vermeintlichen Hexen reicht von körperlicher und psychischer Misshandlung bis hin zu ihrer Ermordung. Bei Misserfolgen, Krankheiten und Trauerfällen, die für die Bevölkerung nicht erklärbar sind, müssen unschuldige Menschen als Sündenböcke herhalten und um ihr Leben fürchten.

Generell ist in Afrika südlich der Sahara der Glaube an Hexerei unabhängig von der sozialen und religiösen Zugehörigkeit weit verbreitet. Opfer von Hexereianschuldigungen sind zumeist diejenigen, die auf Unterstützung angewiesen und gesellschaftlich nicht angesehen sind: ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Behinderungen und Albinos.

Hier können Sie sich ein Interview mit dem Vorsitzenden der kenianischen Nichtregierungsorganisation MADCA, Joseph Mwarandu, ansehen. Das Interview wurde vom italienischen Regisseur Simone Grassi geführt.

Kommentar verfassen Antwort abbrechen