WM in Katar: Deutsche Akteur*innen müssen mehr Verantwortung übernehmen

Katar steht aufgrund zahlreicher Menschenrechtsverstöße, der Verfolgung von LGBTQIA+, fehlender Frauenrechte, der Terrorfinanzierung und fehlendem Arbeitnehmer*innenschutz, insbesondere für migrantische Arbeitnehmer*innen, in der Kritik. Seit der WM-Vergabe in das Emirat sollen etwa 6500 Arbeitsmigrant*innen dort gestorben sein. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und andere Menschenrechtsorganisationen sehen in Katars Investitionen in den Sport und der Vergabe der WM ins Emirat den Versuch, den Fußball zu Werbezwecken zu missbrauchen und sich als Global Player zu vermarkten. Trotzdem gibt es viele deutsche Unternehmen und Akteur*innen, die mit Katar wirtschaftliche Beziehungen unterhalten. Das ruft wiederholt Kritik an den Partnerschaften durch die Zivilgesellschaft hervor, mit der sich die deutsche Seite auseinandersetzen muss.

Von Louis Westerkamp, Tabea Giesecke; Foto: Fans des FC Bayern München. Teile der Fanszene und Mitglieder protestieren gegen die Partnerschaft ihres Vereins mit Katar. Von wolf4max/flickr CC BY-NC-ND 2.0

Runder Tisch in München

Ein bekannter Fall besonders inniger Beziehungen zu Katar ist der FC Bayern München (FCB). Der deutsche Fußballrekordmeister steht aufgrund seiner Partnerschaft mit Qatar Airways seit längerem in der Kritik. Erst im letzten November kam es auf der Jahreshauptversammlung zu tumultartigen Szenen, nachdem ein Mitglied den Antrag stellte, die Partnerschaft mit Katars staatlicher Airline zu beenden.1 Nach langer Pause kam es nun am 04.07. zu einer Veranstaltung, auf der die Vertreter verschiedener Konfliktparteien in der Allianz Arena in München zusammentrafen, um an einen eigentlich schon vor der Corona-Pandemie geplanten runden Tisch zu treten und über Katars Partnerschaft mit dem FCB, aber auch über die Ende des Jahres in Katar stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft (WM) zu diskutieren.2

Hochkarätig besetzter Tisch – doch ohne Betroffene

Den auf der JHV nicht zugelassenen Antrag zur Beendigung der Partnerschaft mit Qatar Airways hatte Michael Ott gestellt, der auch am Runden Tisch in der Allianz Arena saß. Er wurde von Robin Feinauer begleitet, der ebenfalls Mitglied des FCB ist. Auch Stephen Cochburn von Amnesty International (AI), Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) und Max Tunon von der International Labor Organisation (ILO) waren mit von der Partie. Für Katar sprachen der Botschafter Katars in Deutschland, Abdulla bin Mohammed Al-Thani, sowie Hassan Al Thawadi, der Generalsekretär des WM-Organisationskomitees. Weiterhin wohnten Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D., und für den FCB Oliver Kahn als Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München Fußball-AG und der Präsident des FCB, Herbert Hainer, der Diskussionsrunde bei. Geleitet wurde der runde Tisch von Christopher Heusgen, dem Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz.

Im Übrigen waren alle Teilnehmer der Diskussion Männer. Die einzige Frau am Tisch war tatsächlich eine Kollegin von Herrn Heusgen und blieb wie als bloßes Anhängsel dieses patriarchalen Come-Together über die gesamten zwei Stunden wortlos. Noch weniger Aufmerksamkeit wurde nur den Betroffenen der unwürdigen Arbeitsbedingungen in Katar selbst zuteil: Jene, die unter ständigem Hitzestress im Wüstenstaub nutzlose Fußballtempel aus dem Boden stampfen, denen der Pass eingezogen und kaum das Nötigste gegeben wird, sind – wie so oft – gar nicht eingeladen worden und bleiben ungehört.

Zaghafte Bayern und die Kritik am Emirat

Die Fronten der Diskussion waren nach den Eingangsstatements schnell geklärt. Herbert Hainer erklärte den Round Table kurzerhand zu einem „Dialog mit Partnern in Doha“. Generell halten sich die Bayern-Bosse während der Veranstaltung auffallend zurück, beantworten Fragen mit schwammiger Uneindeutigkeit. Vonseiten des FCB war an diesem Tisch nicht sehr viel Kritik an den wirtschaftlich wichtigen „Partnern“ zu erwarten.

Auch Max Tunon, dem es als Vertreter der ILO ein Anliegen hätte sein sollen, auf noch immer vorhandene und offengelegte Probleme im Arbeitsrecht und Arbeitnehmer*innenschutz hinzuweisen, begann sein Statement leider mit einem Werbefilm, der bisher gemachte Fortschritte mit fröhlicher Musik unterlegt anpries und die fehlende Umsetzung vieler angestoßener Reformen in einem Satz als „gemeinsame Priorität“ bezeichnet. Michael Windfuhr hingegen wies sehr klar auf die Sorgfaltspflicht von Wirtschaftsbetrieben für ihre Lieferketten hin und mahnte an, dass der FCB „fehlende Umsetzungsaspekte“ offen und transparent kommunizieren sowie die Partnerschaft mit Katar stetig einer Risikoanalyse unterwerfen muss. Er und Cockburn sprachen von klaren Grenzen des Sports: Demokratisierung kann nicht von außen gelingen; bisherige Reformen seien keine notwendige Folge der WM-Vergabe, sondern des Aufschreis von NGOs und Fans auf der ganzen Welt. Im Einklang mit der AI-Stellungnahme im Sportausschuss des Bundestages3 erkennt Cockburn die Reformversuche im Arbeitsrecht an, sagt aber deutlich, dass das Geschaffte bei Weitem nicht ausreiche und die Umsetzung zu wünschen übriglasse. Wiederholt wird die Schaffung eines Entschädigungsfonds für Betroffene und die Aufarbeitung der vielen Todesfälle gefordert.

Der Mythos vom ‚katarischen Weg‘

Auf der anderen Seite des Tisches betete Al Thawadi gebetsmühlenartig die sogenannte Qatar National Vision 2030 herunter: Katar fördere Nachhaltigkeit, Umweltschutz und wirtschaftliche Diversifizierung. Eine unhaltbare Behauptung allein angesichts der unglaublichen ökologischen Kosten des Stadionbaus.4 Auch sei er stolz auf die vielen Fortschritte, die das Land seiner Ansicht nach vor allem dank der Vergabe der WM nach Katar gemacht hätte – und die, wie unlängst der Bericht von AI schilderte, schon teilweise wieder rückgängig gemacht wurden. Der Botschafter Al-Thani bediente sich schnell seiner wichtigsten rhetorischen Figur, dem Whataboutismus: Die Menschen- und Arbeitsrechtssituation sei doch so viel besser als in anderen Golfstaaten; und überhaupt würden Medienvertreter*innen nie den Fortschritt im Land loben, sondern nur über „Arbeit und LGBT“ sprechen – als würde man dem Land mit dieser berechtigten Kritik ungehöriges antun. Er spricht von der WM als ein „Zeichen für Frieden, für Wohlstand für die Region“ – Fraglich bleibt für wen es ein Zeichen des Friedens und des Wohlstandes ist. Sicher nicht für die Arbeiter*innen, religiösen Minderheiten oder Flinta*.

Franck Ribery mit dem Qatar Airways-Emblem auf dem Ärmel während eines Spiels im Jahr 2019.
Von Steffen Prößdorf/wikimedia CC BY-SA 4.0

Gabriels peinlicher Auftritt und engagierte Bayern-Fans

Noch gröber wurde es, als sich der Bundesminister a.D. Sigmar Gabriel zu dem untauglichsten aller Witze hinreißen lässt: Nur in Dohas Shopping Malls fände man wohl zeitgleich einen US-General, einen iranischen Spion, einen EU-Diplomaten, einen türkischen Diplomaten sowie Kämpfer der Hamas und Taliban – das würde doch die geostrategische Bedeutsamkeit Katars auch für Deutschland beweisen. Eine Bemerkung, die angesichts der Terrorfinanzierung des katarischen Staates5 absolut unangebracht ist und den Feinauer später passend fassungslos und lapidar kommentiert: „Ich bin froh, keinem Taliban im Supermarkt in München zu begegnen.“

Überhaupt waren es allen voran die beiden Mitglieder des FCB, die gut vorbereitet und äußerst direkt auftraten. Michael Ott erneuerte seine Kritik an der Partnerschaft des FCB mit Katar, die er in der Menschenrechtssituation, der Terrorfinanzierung und dem Verdacht der Korruption bei der WM-Vergabe6 begründete, und übergab einen Fragekatalog mit Bitte um Stellungnahme nach dem runden Tisch an die FCB-Bosse. Er brachte aktuelle Beispiele und verwies auf Expert*innen und Gutachten.

Ganz im Gegensatz zu Sigmar Gabriel: Er diskreditierte die Expert*innen, die Ott und Feinauer vorbrachten – denn wer sei schon Expert*in; Terrorfinanzierung gebe es seiner Einsicht nach nicht, sonst würde Deutschland ja keine Geschäfte mit Katar machen; und die toten Arbeiter*innen relativierte er, denn man dürfe ja nicht auf absolute Zahlen schauen, sondern müsse sie mit anderen Ländern vergleichen. Widerlich!

Kritik an Katar unerwünscht!

Gabriel und der Whataboutist Al-Thani, der Vorwürfe zu toten Arbeiter*innen und Terrorfinanzierung als Medienlügen abtut, sprachen jeder Kritik die Legitimität ab, als würde sie den Fortschritt dämmen. Generell stellen sich die katarischen Delegierten am Runden Tisch oft als passive Empfänger der Reformen da, die die ach so wohltätige Fußball-WM ins Land bringen werde. Das ist ein einfaches Narrativ, denn es macht den FIFA- und FCB-Funktionären, die sich als Reformator und Heilsbringer zeigen, schöne Augen und verschleiert gleichzeitig die Verantwortung der Kataris für die Zustände im eigenen Land: Als sei es nur die WM und die Öffentlichkeit, die Reformen anstoße, nicht der Staat, der doch alle Gewalt und Ressourcen hat, um die Umstände im Land von innen heraus zu verbessern, wenn er nur wollte.

Auch der Moderator Heusgen gab eine unglückliche Figur ab. Den Mitgliedern des FCB warf er vor, ihre vielen kritischen Fragen würden den Ablauf der Diskussion verzögern und stören und schnitt Oliver Kahn ab, als er auf die doch äußerst interessante Frage von Ott, ob sich der FCB an einem Entschädigungsfond für geschädigte Arbeitnehmer*innen beteiligen würde, direkt antworten wollte.

Eine fadenscheinige Veranstaltung

Am Ende zeichnet sich ab, dass die Veranstaltung die Anwesenden in ihren jeweiligen Haltungen eher bestärkt hat. Die moralische Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen im Partnerland Katar entschlossen entgegenzutreten, wird reflexhaft abgewiesen. So scheinen solche Veranstaltungen eher ein Imagespiel zu sein als eine wirkliche Auseinandersetzung mit Problemen, die Menschenleben kosten.

Tunon und Al Thawadi laden die Fanvertreter am Ende noch nach Katar ein, um sich selbst ein Bild zu machen, worauf Ott süffisant antwortet, ob er denn auch wirklich zu allen Orten Zugang bekäme. Viele Fragen bleiben offen, insbesondere die der kritischen FCB-Fans. Die Hinweise darauf, dass die Kritik über den Horizont der WM-Baustellen hinaus auf die strukturellen Probleme im Arbeitnehmenden- und Minderheitenschutz zielt, verschallen. Die FCB-Bosse halten sich bedeckt, der Moderator wirkt voreingenommen, Al-Thani und Gabriel bieten sich ein Wettrennen um die arrogantesten Bemerkungen. Was ist wohl der einzige Ort, an dem man einen abgehalfterten Ex-Minister, einen skrupellosen Sportfunktionär, zwei hochrangige Beamte eines Schurkenstaates und einen zur Profitgier erzogenen Ex-Profisportler zeitgleich antrifft? Der Round Table in München. Schade!

1 https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga/bayern-umsatz-jhv-100.html

Hier die JHV 2021 im Re-Live: https://www.youtube.com/watch?v=P_D39DT0IXg

2 Hier der Round Table im Re-Live: https://fcbayern.com/fcbayerntv/de/video/2022/07/re-live-der-round-table-des-fc-bayern-ueber-katar

3 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw27-pa-sport-fussball-wm-897738

4 https://www.sportschau.de/fussball/fifa-wm-2022/wm-katar-das-maerchen-von-der-klimaneutralitaet-100.html

5 GfbV-Memorandum

6 https://www.rnd.de/sport/fussball-wm-2022-warum-in-katar-war-die-wm-vergabe-gekauft-JWKIH3I7MBEAPB4ENUHMUYYHGY.html

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