„Ich wurde als Sklave geboren“

Brahim Ramdhane wurde 1966 als Sklave geboren. Die Religion schreibt vor, wen Gott als Sklav*in geschaffen hat – und wen als Meister*in. Wie befreit man sich von solchen Ketten? Ketten, die laut Ramdhane nicht an Händen und Füßen befestigt sind, sondern im Kopf. In der Art zu denken. Wer nie etwas Anderes gekannt hat, der kann sich auch nichts Anderes vorstellen, der kann sich auch nicht selbst befreien. Ramdhanes Glück: Mit sechs Jahren besuchte er durch Zufall die Schule – diese Erfahrung half ihm, die Ketten zu brechen. Damit begann ein lebenslanger Kampf gegen die Herrschaftsverhältnisse in Mauretanien.

Autor: Jakob Faust, GfbV-Praktikant; Bild: Brahim Ramdhane in Göttingen. GfbV 2019

„Gegen Sklaverei kämpfen, bedeutet auch gegen die Regierung zu kämpfen“

Mauretanien ist ein Staat im Nordwesten Afrikas, angrenzend an Algerien, Mali und Senegal und besteht zu einem großen Teil aus Wüste. Obwohl es fast dreimal so viel Fläche wie Deutschland verzeichnet, leben in Mauretanien nur 4,3 Millionen Menschen. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sprechen Hassania, ein regionaler arabischer Dialekt, und gehören zu den arabisch-benerberischen Mauren. Diese Gruppe ist unterteilt in Bidhan („weiße Mauren“), welche zu den oberen Schichten der Gesellschaft gehören, und den Haratin, welche die Nachfahren der Mauren sind. Der Begriff Haratin lässt sich als „die nachträglich Befreiten“ übersetzen und bezeichnet das Volk, das sich nach der ersten Abschaffung der Sklaverei 1905 gebildet hat. Der Begriff wird bis heute noch verwendet, um die Haratin von den „weißen Mauren“ zu unterscheiden. Mit der ersten Bestimmung wurde die Sklaverei nur leider nicht abgeschafft. Bis heute ist der Anteil von Sklav*innen an der Gesamtbevölkerung der höchste der Welt. Das hat offensichtliche Gründe. Obwohl Mauretanien ein ressourcenvolles Land ist, ist ein Großteil der Bevölkerung arm.

“Wir müssen um Macht kämpfen, den mit der Macht können wir die Gesetze verändern. Sie haben die ökonomische Macht, die militärische Macht – und die religiöse.“

Die Bidhan, die von Gott bestimmten Meister*innen, sind gleichzeitig eine mächtige arabische Minderheit in Mauretanien. Durch internationalen Druck wurde 2007 das erste Mal Sklaverei unter Strafe gestellt. Lange Haftstrafen drohen Sklavenhalter*innen. Doch was auf dem Papier gut aussieht, übersetzt sich nicht in die Gesellschaft: Die arabische Minderheit, mit mehr Macht und Ressourcen, möchte ihre Privilegien nicht aufgeben. Ein Großteil der Wirtschaft ruht auf dem Rücken der Sklav*innen, die die harten und unangenehmen Arbeiten für sie verrichten müssen. Gerichtsverfahren werden in die Länge gezogen, bestraft werden meist Anti-Sklaverei-Aktivist*innen und nicht die Sklavenhalter*innen selbst. Bis heute wurde nie ein*e Sklavenhalter*in verurteilt. Die Regierung hält sich zurück, denn Sklaverei ist in Mauretanien zu einer Institution geworden. Eine Institution, die den Machterhalt der gesellschaftlichen und politischen Elite garantiert. Sowohl die Haratins als auch die sub-saharischen Bevölkerungsgruppen sind in Machtpositionen stark unterrepräsentiert.

Bild: Evgeni Zotov via Flickr

“Ich entschied mich Lehrer zu werden – und ich wählte Philosophie. Mein Fokus liegt im Bekämpfen der Sklaverei in den Köpfen – in der Art zu denken.“

Gegen diese Herrschaftsverhältnisse kämpft Brahim Ramdhane – und das schon seit über 30 Jahren. 2014 – 2016 ging er für seine Überzeugungen sogar ins Gefängnis. Dabei hatte er bei einer Demonstration gegen Sklaverei lediglich schlichten wollen – Die Hauptankläger*innen machten daraus einen Angriff auf den Staat, – Brahim verlor für zwei Jahre seine Freiheit.

Bild: GfbV 2019

 Bis er 20 Jahre alt war, dachte er, Sklaverei existiere nicht. Dass es von Gott gegeben wäre – und was von Gott kommt, das müsse man akzeptieren. Die Erfahrung in einer Schulklasse zu sitzen und gleichberechtigt angesprochen zu werden, entzündete einen Lernprozess, der ihn zur Hinterfragung seiner Umstände führte. Er erfuhr das erste Mal, was es bedeutet gleichberechtigt zu sein. Ihm wurde klar, dass Sklaverei nicht gerecht ist. Doch diese Realisierung brauchte Zeit. Und den Zugang zu Bildung, der den Sklav*innen normalerweise verwehrt bleibt.  

„Es ist schwer zu verstehen, wenn man nicht aus der gleichen Situation kommt. Leute fragen mich: „Warum hast du das akzeptiert?“. Ich hatte nicht den Verstand, um etwas abzulehnen oder zu akzeptieren. Ich wurde in diese Situation geboren – und ich hatte keine Wahl.“

Brahim wurde Lehrer der Philosophie. Er wollte sein Wissen weitergeben, den Kindern helfen, eigenständig zu denken, zu verstehen und zu hinterfragen. Er sagt, das Denken verändert sich nicht sofort, es ist ein andauernder Prozess. Und diesen Prozess möchte er allen Haratin ermöglichen. Ein großes Problem dabei ist das Schulsystem, welches massiv zur strukturellen Benachteiligung der Haratin beiträgt. Früher durften Sklav*innen nicht zur Schule gehen, das hat sich mittlerweile geändert. Aber die Unterteilung in private und öffentliche Schulen führt zum Erhalt der repressiven Strukturen. Die privaten Schulen sind gut. Sie bieten guten Unterricht. Nur bleibt dieses Privileg nur denjenigen vorbehalten, die das Geld haben um für den Zugang zu bezahlen. Und das sind meistens die Bidhan, die über Generationen durch Sklavenarbeit Macht und Ressourcen angehäuft haben. An vielen Orten gibt es keine öffentlichen Schulen und wenn es sie gibt, so bestehen die Klassen oft aus über 120 Schüler*innen. Keine Umgebung, um angemessen Bildung vermitteln zu können. Brahims Organisation „Sahel Foundation“ versucht, genau das zu verändern. Sie suchen Unterstützer*innen für Kinder und finanzieren ihnen die Privatschulen. Ebenfalls bieten sie selber Klassen an. Allein im Jahr 2019 ermöglichte die Organisation 770 Kindern den Zugang zu Bildung, die sie brauchen, um sich zu emanzipieren.

Der Kampf gegen die Sklaverei, er muss in den Köpfen geführt werden, und die Kinder müssen früh die nötigen Instrumente an die Hand bekommen, um die Verhältnisse, in die sie geboren werden, zu hinterfragen. Brahims Leben ist ein Kampf, sagt er. Immer muss er kämpfen. Aber es ist für etwas, für das es sich lohnt zu kämpfen.

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