In Irland haben Sprachaktivisten Facebook herausgefordert und gewonnen. Doch ihr Erfolg bedeutet viel mehr als nur die Veränderung einer Richtlinien bei Facebook.
von Kaan Orhon; Foto: Roberto Taddeo via Flickr (bearbeitet)
Es war ein Sieg Davids gegen Goliath: Facebook, das weltweit größte soziale Netzwerk, gab Anfang diesen Monats den Forderungen irischer Sprachaktivisten nach. Vorausgegangen war eine monatelange Kampagne mit Unterschriftensammlungen, Protestbriefen und Aktivismus in den sozialen Medien unter dem Hashtag #MyNameIs, an der sich zahlreiche NGOs in Irland und im Ausland, Schüler und Lehrer an irischsprachigen Schulen (Gaelscoileanna) und andere Aktivisten beteiligt sowie irische Medien intensiv berichtet hatten. Am Ende haben sie gewonnen: Ab sofort sind Facebook-Profile mit irischen Namen zugelassen. Aber warum ist das überhaupt so besonders?
Alles begann diesen Sommer, als Facebook anfing, Profile von Personen zu sperren, die irische Namen verwenden. Das Unternehmen verlangte auf Grundlage seiner „real name policy“ von den Betroffenen, Ausweise, Geburtsurkunden oder andere Dokumente vorzulegen, auf denen ihr irischer Name aufgeführt ist. Diese Richtlinie, durch die nur Profile mit einem „richtigen“ Namen angelegt werden können, führte schon oft zu Kontroversen. Erst im Juli dieses Jahres gab es beispielsweise ein Gerichtsurteil in Hamburg, dass die „real name policy“ nicht mit deutschen Datenschutzbestimmungen übereinstimme. Facebook argumentiert hingegen immer wieder, dass das Netzwerk durch diese Bestimmung sicherer werde, weil sie gegen sogenannte „fake accounts“ vorgehen. Nur wenn Benutzer ihren „richtigen“ Namen angeben, wüssten andere Mitglieder, mit wem sie interagieren. Deswegen hält es an der Möglichkeit fest, dass eine Person wegen eines „falschen“ Namens gemeldet werden kann. Der betroffene Nutzer wird dann von Facebook kontaktiert und muss sich dem Unternehmen gegenüber mit einem offiziellen Dokument ausweisen. Wenn die „Echtheit“ des Namens bestätigt ist, wird der Account wieder freigegeben.
Embed from Getty ImagesFacebook wollte die Profile von Nutzern mit irischen Namen sperren, wenn diese nicht die “Richtigkeit” ihres Namens durch offizielle Dokumente belegen können. So will es die “real name policy” des sozialen Netzwerkes. Aktivisten in Irland sahen das anders. Und gewannen den Streit mit dem Unternehmen.
Die Frage, die mit der „real name policy“ jedoch auftaucht, ist: Was ist ein „richtiger“ Name? Das Beispiel in Irland zeigt, dass die Antwort dazu weniger einfach ist, als man meinen könnte. Viele Menschen in Irland entscheiden sich oft im Laufe ihres Lebens dazu, die irische Form ihrer Namen zu verwenden. In ihren Ausweisen und Reisepässen steht jedoch weiterhin ihr englischer Name, mit dem sie bei der Geburt registriert worden waren. Aus Verbundenheit mit der irischen Kultur und Sprache, die von der UNESCO als bedroht eingestuft wird, nutzen sie als Jugendliche oder Erwachsene dann aber die irische Sprachvariante. Aus John wird Seán und aus Mary wird Máire. Das Gleiche gilt für Nachnamen: Kelly ist eigentlich Mac Ceallach, Kennedy wird zu Ó Cinnéde oder Murphy heißt im Irischen Ó Murchu. Für manche Iren ist es nur eine Frage, was schöner klingt. Für viele geht die Frage nach der Schreibweise ihres Namens aber viel weiter: Sie wollen, dass ein historisches Unrecht behoben wird. Denn der Wandel Irlands von einem mehrheitlich irisch-gälisch-sprachigen Landes in ein englischsprachiges innerhalb weniger Generationen wäre nie zustande gekommen ohne massive Repression der englischen Herrscher, ohne diskriminierende Gesetze gegen den Gebrauch der irischen Sprache, ohne Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und Auswanderung.
So wird ein Name zu einem Politikum. Er steht für eine Form der Dekolonisierung im Westeuropa des 21. Jahrhunderts. Und er wird zum Symbol gegen das Verschwinden der irischen Sprache, um die es laut Erhebungen der irischen Regierung aus diesem Jahr schlechter steht als je zuvor – trotz zahlreicher politischer Bekenntnisse zu ihrem Schutz. Die schlechte wirtschaftliche Lage vieler Menschen in den Gaeltachtaí, den Gebieten, in denen Irisch noch die Alltagssprache ist und die damit verbundene Abwanderung, die Dominanz des Englischen in der Gesellschaft und eine anhaltende Diskriminierung im britisch-besetzten Nordosten des Landes gefährden den Fortbestand der Sprache. Wie kann eine Richtlinie im Internet unter diesen Umständen Menschen vorschreiben, dass ihr „richtiger“ Name der im Ausweis ist? Wieso dürfen Personen nicht ihren selbstgewählten Name benutzen, wenn er doch so viel mehr über die eigene Identität aussagt, als es ein offizielles Dokument jemals könnte? Facebook musste das auch einsehen und erlaubt nun irische Namen.
Doch der Erfolg gegen Facebook ist nicht nur ein Erfolg für Menschen in Irland. Er ist ein wichtiges Zeichen für Andere, die von einer ähnlichen Situation betroffen sind. Sprecher des mit dem Irischen eng verwandten schottischen Gälisch und Angehörige indigener Gemeinschaften in Nordamerika haben ebenfalls Vorwürfe gegen Facebook erhoben, sie durch die „real name policy“ zu diskriminieren. Auch Transgender- Personen bestehen auf dem Recht, den Namen zu verwenden, den sie für sich wählen. In den USA haben letztere bereits ähnliche Erfolge errungen wie nun die Sprachaktivisten in Irland.
In einer Zeit, in der soziale Medien aus dem Leben vieler, vor allem junger Menschen nicht mehr wegzudenken sind, ist es so wichtig, dass in ihnen genau das Gleiche gilt wie offline: Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und eine selbstbestimmte Identität. Das gilt auch und gerade dann, wenn er oder sie einer Minderheit oder einer marginalisierten Gruppe angehört. Darum ist der Erfolg der irischen Aktivisten viel mehr als „nur“ ein Sieg für ein paar Namen.
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