Der Wunsch der libyschen Flüchtlinge nach einer Rückkehr in die Heimat ist auch über 2 Jahren nach dem Sturz Gaddafis in Libyen ungebrochen. Die Tawergha, eine von mehreren während des Bürgerkrieges 2011 vertriebenen Minderheiten Libyens, leben seit dem Ende des Bürgerkrieges in Flüchtlingscamps und warten verzweifelt auf ihre Rückkehr nach Hause. Doch die Chancen sind angesichts der aktuellen Lage und vor allem aufgrund der rassistischen Anschuldigungen gegenüber den Tawergha noch immer gering.
Von Mareike Peters
Die gleichnamige Stadt Tawergha mit ca. 30.000 Einwohnern, befindet sich 50km von der Stadt Misrata entfernt in der Region Tripolitanien. Im libyschen Bürgerkrieg nutzten die Milizen Muammar al-Gaddafis ausgerechnet die Stadt Tawergha als Basis für ihre 3-monatige Belagerung der Stadt Misrata. Die Beziehungen zwischen den Bewohnern Tawerghas und Misrata waren schon immer angespannt. Die Tawergha, eine schwarzafrikanische Minderheit, deren Vorfahren ursprünglich im 18. und 19. Jahrhundert als Sklaven nach Libyen gelangten, wurden von der libyschen Bevölkerung auch 200 Jahre später noch als solche betrachtet.
Nachdem die Anti-Gaddafi Kämpfer in Misrata Überhand gewonnen hatten, übten sie Rache an ihrer Nachbarstadt. Sie warfen den Bewohnern Tawerghas vor, sich mit Gaddafi und seinen Milizen verbündet zu haben und bei der Belagerung sowie den Angriffen auf Misrata beteiligt gewesen zu sein. Die Stadt Tawergha wurde, mit Unterstützung der NATO, nahezu vollständig ausgelöscht. Milizen aus Misrata verübten schwere Kriegsverbrechen an den Tawergha. Man verwüstete und plünderte Häuser und steckte schließlich die Stadt in Brand. Mit der Parole „Tawergha no longer exists, only Misrata“ vertrieb man letztendlich die gesamte Bevölkerung der Stadt.
Betritt man heute Tawergha – vorausgesetzt man kann die Straßensperren umgehen – findet man eine Geisterstadt vor. Es ist keine Menschenseele auf den Straßen zu sehen. Die Häuser und Läden stehen leer. Das Ortschild „Tawergha“ wurde mit „Neues Misrata“ übergemalt und die Hassbotschaften an den Wänden und Fassaden sind nicht zu ignorieren.
Die Menschen Tawerghas, soweit sie nicht beim Racheangriff ums Leben gekommen sind oder als vermisst gelten, befinden sich in den internen Flüchtlingscamps des Landes und haben bislang keine Aussichten auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimatstadt. Es scheint eindeutig, dass die Bewohner Tawerghas starken Diskriminierungen innerhalb Libyens ausgesetzt sind und von der restlichen Bevölkerung keine Akzeptanz erfahren. Sowohl der Stadtrat Misratas als auch die libysche Übergangsregierung unter Ministerpräsident Ali Zeidan verweigern den Tawergha die Rückkehr. Als der Stadtrat der Tawergha im Juli 2013 die friedliche Heimkehr aller Vertriebenen ankündigte, erklärte Zeidan auf einer Pressekonferenz, dass es noch immer starke Einwände der Nachbarstädte und –dörfer gebe und die Regierung an einer konfliktfreien Lösung arbeite. Die Tawergha würden erst zurückkehren können, wenn man eine Versöhnung beider Seiten erreicht habe.
Auch der Mufti Libyens, Sheikh Sadeq Al-Ghariani, riet den Tawergha von einer Rückkehr ab. Er begründete dies damit, indem er die Rückkehr als einen „falschen“ und „gefährlichen“ Schritt darstellte, der schnell in einen weiteren Bürgerkrieg und ein unnötiges Blutvergießen münden könne. Jedoch ermahnte Al-Ghariani die Regierung, dass diese die volle Verantwortung für die Vertriebenen übernehmen müsse. Schon im Februar 2012 richtete der Stadtrat Tawerghas eine offizielle Entschuldigung an Misrata: „We, the Tawergha tribes of Libya apologise to our brothers in Misrata for any action committed by any resident of Tawergha“. Weiter appellierten sie an alle Libyer, die Verbrechen begangen haben, sich den Behörden zu stellen und ihre Strafe zu akzeptieren, um so den Weg der Gerechtigkeit zu unterstützen. Doch seitdem wurde nicht viel unternommen.
Die Bedingungen in den Flüchtlingscamps sind desaströs. Nicht nur, dass die Camps an chronischer medizinischer Unterversorgung und Nahrungsmittelmangel leiden und die Kinder keine Schulbildung erhalten: Auch die Sicherheit der Campbewohner kann von der libyschen Regierung nicht garantiert werden. Immer wieder liest man Nachrichten über bewaffnete Milizen, die in die Flüchtlingscamps eindringen, um sich schießen und dabei hauptsächlich Tawergha töten. Zwar versuchen UNHCR und die libysche Hilfsorganisation LibAid die Situation der Flüchtlinge in den Camps zu verbessern, doch bisher mit nur minimalen Erfolgen. Starke Regenfälle haben Anfang Dezember die Camps stark überflutet, sodass die Bewohner anhaltend gesundheitsschädlichen Umständen ausgesetzt werden. Es scheint noch immer keine ausreichende Versorgung mit Medikamenten und Nahrungsmittel zu geben. Und selbst wenn dies der Fall wäre, sind laut Angaben des Stadtrates der Tawergha die Flüchtlinge finanziell nicht in der Lage Medikamente zu erwerben. In einigen Camps seien sogar die wenigen Nahrungsmittelvorräte durch den ständigen Regen ungenießbar.
Es ist an der Zeit, dass die Regierung Libyens sich ernsthaft den Problemen und Umständen der Vertriebenen annimmt und ein Programm für die Rückkehr der Binnenvertriebenen ausarbeitet. Es wurden in der Vergangenheit viele Versprechungen gemacht, doch bislang wurde nichts in die Realität umgesetzt. Noch immer stehen die Bewohner Misratas den Tawergha hasserfüllt gegenüber. Es wurde kein Schritt in Richtung einer Versöhnung unternommen. Es sollte das Ziel sein, einen Dialog zwischen den betroffenen Parteien zu schaffen und auf einer friedlichen Basis die bestehenden Anschuldigungen zu diskutieren und im Einvernehmen, eine Grundlage für die Versöhnung zwischen Misrata und Tawergha zu schaffen.