Die Lakota-Großmutter aus South Dakota, die zu traditionellen Klängen erwacht, der indigene Landwirt, der den Wetterbericht hört, der junge Vater, der die Stellenangebote verfolgt und der Teenager, der das Radio einfach nur wegen der Rock’n Roll-Musik laut aufdrehen möchte – all diese Menschen sollen erreicht werden. So hat es sich KILI Radio vorgenommen.
von Sandy Naake; Foto: Dahan Remy via unsplash (bearbeitet)
Seit 1983 sendet die „Stimme der Lakota“ im Pine-Ridge-Reservat in South Dakota. Doch der Sendebeginn wurde kritisch beäugt. „Terroristen bauen Radiostation auf“, titelte damals die Rocky Mountain News. KILI Radio wurde von Mitgliedern der Amerikanischen indigenen Bewegung (American Indian Movement/AIM) – eine indigene Protestbewegung – gegründet, die vor allem in den 1970er Jahren von der US-Politik kriminalisiert wurde: 1973 besetzte die AIM 71 Tage lang das im Pine-Ridge-Reservat gelegene Dorf Wounded Knee – ein geschichtsträchtiger Ort, an dem US-Soldaten 1890 hunderte wehrlose Lakota massakrierten. Die Protestbewegung forderte die Überprüfung von Vertragsbrüchen und die Untersuchung der Zustände in den Reservaten. Es kam immer wieder zu Schusswechseln zwischen FBI, Militär und den Besatzern.
Im Jahr 2006 erlebte KILI Radio einen Tiefpunkt. Im Frühling schlug ein Blitz in die Rundfunkantenne ein. „Seit KILI Radio nicht mehr sendet, wissen wir gar nicht mehr, was bei uns passiert“, klagte damals ein Hörer. Knapp ein Jahr dauerte es, bis dank Spenden eine neue Antenne angeschafft werden konnte. Dieser „Blackout“ hat den Lakota jedoch deutlich gemacht, dass eine selbstverwaltete Radiostation keine Selbstverständlichkeit und wie wichtig KILI Radio als Informationsmedium ist: Sportereignisse und politische Anhörungen werden live übertragen oder Geburtstage, Todesanzeigen und Stellenangebote im Reservat vorgelesen. Vieles wird in Lakota gesendet, um die Sprache und die Kultur zu bewahren.
Desolate digitale Infrastruktur
Das Radio-Engagement der Lakota darf jedoch nicht über die desolate Situation indigener Medien in den USA hinwegtäuschen. Nach Angaben von Native Public Media (NPM) – eine Organisation, die seit 2004 Native Americans beim Aufbau von Radiostationen beratend zur Seite steht – haben nur 53 von 566 in den USA lebenden indigenen Völkern eigene Radiostationen. Hinzu kommt, dass die digitale Infrastruktur in den Reservaten kaum ausgebaut ist. Nur jede dritte Familie, die in einem Reservat lebt, hat einen Telefonanschluss. Weniger als zehn Prozent der in den Reservaten lebenden Native Americans haben überhaupt Breitbandanschlüsse.
Loris Ann Taylor in dem HopiReservat in Arizona war zehn Jahre alt, als sie das erste Mal in ihrem Leben Radio hörte. Ein Tourist schenkte ihrem Großvater ein batteriebetriebenes Radio, denn Elektrizität gab es in ihrem Dorf nicht. Dieses Erlebnis scheint sie geprägt zu haben: Heute ist Taylor Präsidentin von NPM. „Viele Native Americans bezeichnen indigene Radiostationen als ,Heimat’, als ,Bewahrer von Kultur, Geschichte und Sprache’, als eine ,Schule ohne Mauern’. Es gibt so viele dunkle Flecken [bezüglich der Existenz von Radiostationen, d. A.], die wir beseitigen müssen“, sagt Taylor.
Werden gedruckte Zeitungen überleben?
Indigene Medien schaffen Gegenöffentlichkeit zu konventionellen Medien, die über die Probleme der Native Americans wenig oder gar nicht berichten oder Stereotype und Vorurteile verbreiten. Bereits 1828 erschien die erste von Indigenen herausgegebene Zeitung The Cherokee Phoenix in den Sprachen Cherokee und Englisch. Sie berichtete vor allem über politische und juristische Entscheidungen, die die Cherokee betrafen. Mit der Monatszeitschrift Ádahooníłígíí folgte nach The Cherokee Phoenix in den 1940er und frühen 1950ern die zweite regelmäßig erscheinende Zeitung von Native Americans, die zunächst ausschließlich in der Sprache Navajo publiziert wurde – nach 1947 auch in Englisch. Der Betrieb wurde 1957 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten eingestellt. Nur zwei Jahre später ging der Nachfolger Navajo Times in Druck – eine Wochenzeitung, die bis heute überlebt hat und zurzeit mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren die größte (noch) gedruckte indigene Zeitung in den USA ist.
Die führende mediale Stimme der indigenen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er und 1970er Jahren war die Akewsasne Notes. Am Küchentisch des Mohawk Ernest Kaientaronkwen Benedict wurde im Dezember 1968 die Idee einer „Widerstandszeitung“ geboren. Da sie mit Spenden finanziert wurde, konnte sie sich ihre Unabhängigkeit weitestgehend bewahren. Die Akewsasne Notes war eine stammesübergreifende Zeitung. Sie verstand sich als Stimme der Haudenosaunee („Leute des Langhauses“), der Six Nations – sechs Stämme, die einer gemeinsamen Sprachfamilie angehören: Cayuga, Mohawk, Oneida, Onondaga, Seneca und Tus carora. Sie berichtete nicht nur über den eigenen Widerstand und die Lebensbedingungen in den Reservaten, sondern blickte auch über den Tellerrand hinaus: So waren die Unterdrückung der Tibeter oder die Zerstörung des Regenwaldes immer wieder Thema.
Im Januar 1988 stand die Zeitung kurz vor dem Aus. Unbekannte warfen eine Brandbombe in die Redaktionsräume der Akewsasne Notes in Akewsasne im Bundesstaat New York nahe der kanadischen Grenze. „Unsere Büros wurden von denen unter uns in Akwesasne zerstört, die nicht möchten, dass wir über die Probleme der Haudenosaunee berichten – über kriminelle Taten und unmoralisches Handeln. Sie hätten es fast geschafft, aber wir werden überleben“, schrieb die Akwesasne Notes in der ersten Ausgabe nach dem Anschlag. 1997 wurde das Erscheinen der Zeitung aufgrund zu hoher Produktionskosten eingestellt.
Die Wochenzeitung Indian Country Today ist heute die führende Nachrichtenquelle für Native Americans, sozusagen eine pan-indigene Publikation. Seit Sommer 2013 ist die Zeitung nur noch digital zu beziehen. „In unserer Zeit ist die Technik so weit fortgeschritten, dass wir nur sicher gehen wollen, unserer Leserschaft das zu geben, was sie wirklich braucht“, begründet Herausgeber Ray Halbritter den Schritt, den Druck einzustellen – obwohl nur 43 Prozent der Native Americans und weniger als zehn Prozent, die in Reservaten leben, Internetzugang haben. Diese Statistiken schrecken auch Suzanne Sobel von Indian Country Today nicht ab. Viele würden eh ihr Smartphone benutzen und sich informieren, sagt sie. Zudem erreiche man online viel mehr Leser und somit vielleicht auch potenzielle Unterstützer und Lobbyisten für die Beseitigung von Missständen, argumentiert Sobel.
Sheena Louise Roetman mit Creek- und Lakota-Vorfahren sieht das kritischer. Vor allem die Älteren würden dann keine Informationsquelle mehr haben, meint sie. Der Oglala Lakota Tim Giago, der Indian Country Today 1981 gegründet und 1998 an die Oneida Nation verkauft hat, schließt sich ihrer Meinung an: „Die Navajo Times ist nun die größte indigene Zeitung in Amerika und die Auflage wächst weiter, weil die Leser immer noch lieber eine richtige Zeitung in den Händen halten. Denn viele Navajo haben keinen Internetzugang.“
Liegt die Zukunft doch im Radio?
„Im Hopi-Reservat gibt es keine Feuerwehr. Wenn es Buschbrände gibt, sind wir die einzigen, die die Menschen warnen können“, sagt Richard Davis vom Radiosender KUYI. 2010 zog ein Schneesturm über das Reservat. KUYI informierte die Hopi darüber, an welchen Stellen die Nationalgarde Lebensmittel aus der Luft abwerfen würde.
Radio ist insbesondere im geographisch isolierten Alaska elementar, um die Gemeinschaften miteinander zu verbinden. „Wir sind die einzige Radiostation innerhalb von 94.000 Quadratmeilen[1]“, sagt Jeff Seibert vom Radio KBRW in Barrow, der nördlichsten Stadt der USA. Weil die Menschen dort sehr spirituell sind, gibt es viele religiöse Sendungen auf Englisch und Iñupiat – einer der Sprachen der in Alaska lebenden Indigenen. Nur 57 Prozent aller indigenen Stationen in Nordamerika senden in ihrer Stammessprache. „Natürlich versuchen wir mit allen Mitteln, mehr Inhalte in unserer Sprache auszustrahlen. Aber es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, weil es nur wenige Sprecher gibt“, klagt Margaret Rousu, „Nur noch vier Menschen in unserem Reservat können fließend Ojibwe sprechen.“ Rousu arbeitet für Niijii Radio in dem Reservat White Earth in Minnesota. Doch nicht nur das bereitet indigenen Radiomachern Sorgen: 35 Stationen sind auf Zahlungen von der Corporation for Public Broadcasting (CPB) angewiesen – eine vom US-Kongress gegründete Stiftung, die Gelder an verschiedene Institutionen verteilt. Das Budget lag für das Jahr 2014 bei 4,5 Millionen US-Dollar (3,3 Millionen Euro). Das sind durchschnittlich nur 95.000 Euro pro Station, um den Sendebetrieb aufrechtzuerhalten. Das Jahr zuvor war der Etat für die Radiosender noch fünf Prozent höher.
Richard Davis vom Hopi-Radio KUYI mahnt: „Natürlich kann unsere Gemeinschaft auch ohne uns [den Radiosender, d. A.] überleben, aber das würde sie in Gefahr bringen. Wir machen hier wirklich revolutionäre Arbeit. Jeder Tag, an dem wir unsere Sprache über den Äther verbreiten, ist ein weiterer Tag, an dem wir das Sterben unserer Kultur aufhalten können.“
[1] 94.000 Quadratmeilen sind umgerechnet 243.450 Quadratkilometer. Das entspricht der Fläche von Großbritannien
Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe “Minderheiten machen Medien” (4-5/2013) der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“.
[Zur Autorin]
SANDY NAAKE hat Germanistik, Politikwissenschaft und Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen studiert. Seit 2012 ist sie die Redakteurin der GfbV-Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“.