Fast ein ganzes Jahr demonstrierten die Standing Rock Sioux gegen den Bau der Dakota Access Pipeline, die durch ihr heiliges Land gehen soll. Nun mussten die verbliebenen Protestler am 22. Februar endgültig das Hauptcamp Oceti Sakowin verlassen. Auch wenn die Proteste gegen die Fertigstellung der Pipeline laut des „Indigenous Environmental Network“ in den anderen Camps Sacred Stone, Cheyenne River und Four Bands und auch juristisch weitergehen, ist dies ein schwerer Schlag für die indigene Bevölkerung Nordamerikas.
Interview und Transkript: Charlotte Honnigfort; Foto: Dark Sevier via Flickr
Wie es in den Protestcamps in den letzten Monaten wirklich zuging, ist von Europa aus trotz steigender Medienaufmerksamkeit kaum zu begreifen. Dazu braucht es Leute, die vor Ort waren und ihre persönlichen Eindrücke mit uns teilen. Johannes Rohr von der „International Work Group on Indigenous Affairs“ (IWGIA) ist einer von ihnen. Vom 20 bis 28. Januar 2017 begleitete er den indigenen Aktivisten Pawel Suljandsiga (englische Schreibweise: Pavel Sulyandziga) auf dessen Reise nach Standing Rock. Suljandsiga ist Mitglied der UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte und war in dieser Funktion von der Regierung der Sioux Nation zu einem inoffiziellen Besuch nach North Dakota eingeladen worden. Während dieser Zeit nahmen die Beiden an vielen Veranstaltungen teil, sprachen mit den Menschen aus den Protestlagern und machten sich ein Bild von der Lage vor Ort. In einem Telefoninterview erzählte Johannes Rohr von seinen Eindrücken.
Wie war der Widerstand vor Ort im Januar zusammengesetzt?
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Von den 7000 Leuten, die zwischenzeitlich da gewesen sind, war im Januar vielleicht noch ein Zehntel vor Ort. Im Dezember hatte das Army Corps of Engineers die Genehmigung zum Bohren unter dem Missouri verweigert. Schon zu dem Zeitpunkt hat die Stammesregierung die Bewohner der Protestlager gebeten, diese zu verlassen. Einerseits, weil eine weitere Eskalation der Gewalt verhindert werden sollte, andererseits aber auch, weil ein Teil der Lager auf Überflutungsgebiet lieft und nach der Schneeschmelze unter Wasser ist. Insofern war der langsame Rückzug der Leute schon planmäßig. Allerdings hoffte man im Dezember noch, dass durch das Environmental Impact Statement, welches das Army Corps of Engineers angeordnet hatte, eine Atempause gewährleistet wäre. Generell muss man auch sehen, dass der organisatorische Aufwand hinter den Protestlagern unheimlich groß war. Die Leute waren zum Teil seit April vor Ort, den größten Zulauf gab es dann nach der gewaltvollen Eskalation im September. Die Zusammensetzung der Leute aus Natives und Weißen ist schwierig einzuschätzen, aber ich würde mal behaupten, dass es in etwa Hälfte-Hälfte war. Es war weder so, dass es nur ein ganz paar Indigene in einer großen Horde von weißen Hippies gab, noch, dass es nur vereinzelte Weiße waren. Und auch von der Herkunft der Leute her war es sehr gemischt, sie kamen von vielen verschiedenen Regionen und Stämmen aus den USA und Kanada. In dem Punkt war der Widerstand schon sehr breit aufgestellt.
Welche Rolle spielen religiöse Bräuche für einen gewaltfreien Widerstand? Und von wem ging nach Deiner Beobachtung die Gewalt aus?
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Die Sicht in den Lagern war, dass die Gewalt ganz klar von der Polizei ausgeht. In der Stammesregierung war man eher der Meinung, dass sie von beiden Seiten kommt. Nichtsdestotrotz waren die Eingriffe von Seiten der Polizei sicherlich stärker, da denen eine bei Weitem bessere Ausrüstung zur Verfügung steht. Den Leuten, mit denen wir gesprochen haben, war Gewaltfreiheit auch eigentlich sehr wichtig. Unter anderem war der Begriff „Prayer“ unheimlich zentral und Rituale und Zeremonien spielten während des gesamten Protestes eine sehr starke Rolle. Und das ist nicht nur vorgespielt, um sich als Indigener ein moralisches Kapital zu verschaffen, nein, das gibt den Leuten einfach Halt. Wenn man dann nur sieht, wie sich die Elders in Prayer Circles in der Nähe der Baustelle versammeln und dort singen und ihre heiligen Pfeifen benutzen und diese dann aber von der Polizei angegriffen werden, das ist dann schon ein richtig massiver Tabubruch. Während meines Aufenthalts habe ich versucht zu verstehen, ob diese starke Betonung auf Religiosität, auf Zeremonien und Gebeten einfach generell typisch für die USA als sehr religiöses Land ist oder ob das noch spezieller auf die Lakota zutrifft. Aber generell war diese Betonung für den gesamten Widerstand, wie ich ihn erlebt habe, sehr prägend. Es ging eben nicht nur um den Widerstand gegen ein Projekt, sondern um die Verteidigung von Lebensweise, Weltanschauung und Würde.
Wie sah der Bauprozess der Pipeline Ende Januar aus?
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Ich hatte den Eindruck, dass die Firma einfach Fakten schaffen will. Von den 1800 Kilometern ist schon fast alles verlegt, im Grunde fehlt nur noch der Lückenschluss unter dem Missouri. Und diesen Rest will die Firma nun auf Biegen und Brechen fertigstellen. Wenn so schnell gebaut wird, ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass dabei Fehler passieren, ziemlich groß. In Nord Dakota wird ja inzwischen mehr Öl gefördert als in Texas, ein Großteil davon durch Fracking. Zwei Dinge, die daraus hervorgehen, sind wichtig. Erstens ist die öffentliche Stimmung vor Ort sehr stark gegen die Indigenen. Das kommt daher, dass viele Menschen dort für die Ölindustrie arbeiten und somit davon abhängig sind. Des Weiteren ist die Bedeutung der Pipeline, die das Fracking-Öl aus Norddakota nach Chicago und dann an den Golf zum Export bringen wird, für die Menschen vor Ort sehr zentral. Generell muss man sagen, dass es schon unglaublich viele Pipelines in der Gegend gibt und ständig etwas kaputt geht. Daher haben viele Menschen große Furcht, dass dies auch bei der DAPL passieren wird. Und das würde ja nicht nur die Leute aus dem Lager beeinflussen, der Missouri ist die direkte Trinkwasserquelle für 17 Millionen Menschen. Da es keine Filter gibt, wären bei einem Bruch all diese Menschen innerhalb kurzer Zeit direkt betroffen. Die Chancen, das Projekt noch aufzuhalten, sehe ich als sehr gering, weil alle, die Macht und Einfluss haben, den Bau so schnell wie möglich beenden wollen. Letztlich ist natürlich die Frage, was es für Auswirkungen auf den indigenen Widerstand in Nordamerika hat, wenn sie diesen Kampf verlieren. Natürlich ist dies längst nicht der letzte Kampf, es gibt in Norddakota hunderte von Pipelines und viele Bauprojekte, aber wenn sich die Menschen nach dieser unglaublichen Dynamik nun auch wieder geschlagen geben müssen, ist das wahrscheinlich sehr deprimierend. Gerade, weil dies der größte Aufstand gegen Konzernmacht war, den es in vielen Jahrzehnten gegeben hat.
Welche externen Faktoren haben Druck auf den Widerstand ausgeübt?
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Was beachtet werden muss, ist, dass der ökonomische Druck, dem der Stamm ausgesetzt wird, erheblich ist. Als wir von Bismarck Richtung Reservat fuhren, kamen wir relativ schnell an die Straßenblockade des Mountain County Sheriffs und des National Guards. Die haben den Hghway von Bismarck in das Reservat einfach gesperrt. Die offizielle Begründung lautet, dass die Protestierenden so von der Baustelle ferngehalten werden sollen, die am Highway liegt. Aber der Stamm, und der Aktivist David Archambault sagten, dass das für sie ökonomische Sanktionen sind. Wie bei vielen indigenen Völkern ist auch für die Standing Rock Sioux das Kasino eine wesentliche Einnahmequelle. Da das Kasino hinter der Straßenblockade liegt, sind die Besucherzahlen drastisch eingebrochen. Theoretisch kann man es zwar durch einen einstündigen Umweg noch erreichen, aber das tun wesentlich weniger Leute, auch, weil sie die Proteste boykottieren wollen. Insofern ist der ökonomische Druck, den die Bewohner spüren, einfach erheblich.
Was kann man von Deutschland aus tun, um den Widerstand und die Menschen vor Ort zu unterstützen?
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Den wichtigsten Hebel, den es jetzt noch gibt, ist, Druck auf die Banken auszuüben. Es gibt 17 Banken, die ein Konsortium bilden und das Projekt finanzieren, darunter auch die Bayern LB aus Deutschland. Vor zwei Wochen gab es dazu eine Aktion in München, bei der 250 000 Unterschriften, die innerhalb von ein paar Tagen zusammengekommen waren, an die Bayern LB übergeben wurden. Bisher wurde erste die Hälfte des Kredits ausbezahlt, das heißt, die zweite Tranche fehlt noch und in dem Punkt könnte natürlich erheblicher Druck ausgeübt werden. Ich war bei der Aktion in München mit dabei und wir hatten dann hinterher ein Gespräch mit den Personen, die im Nachhaltigkeitsbereich der Bayern LB tätig sind. Und ich kann nur sagen, dass ich entsetzt war, wie sehr die hinterm Mond zu sein scheinen. Ich habe sie vorrangig nach zwei Dingen gefragt: Erstens, ob das Projekt sicherstellt, dass es einen „Free Prior and Informed Consent“ gibt. Denn nach der UN Deklaration wäre dies ein ganz klarer Fall, in dem „Free Prior and Informed Consent“ gefordert ist. Das zweite, nachdem ich sie gefragt habe, bezog sich auf die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Dabei stellte sich raus, dass die Bayern LB zwar eine Nachhaltigkeitsabteilung hat, aber bisher keine Menschenrechtspolicy besitzt. Genau dies wäre aber die erste Forderung der UN Leitprinzipien: Unternehmen sollen sich eine Menschenrechtspolicy geben, und im Fall indigener Völker würde dies ganz klar bedeuten, dass sie auch die Deklaration berücksichtigen müssen. Doch dies alles scheint für die Bayern LB bisher überhaupt kein Thema zu sein. Die Bank wartet bisher noch auf das Gutachten, was das Bankenkonsortium bei einem Rechtsanwaltsbüro in Auftrag gegeben hat und auf dessen Basis wollen sie dann über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Doch da es jetzt schon das Easement (die Genehmigung) gibt, ist es gut möglich, dass das Gutachten dann zu spät kommt. Außerdem ist das Gutachten eine reine Desk Study. Auch in den Protestlagern hat niemand etwas davon gesagt, dass Leute im Auftrag einer Anwaltskanzlei vor Ort waren und mit ihnen gesprochen hätten. Alles in allem war ich schon entsetzt, wie weit entfernt die Bayern LB von dem zu sein scheint, was sie da finanziert. Die Bank gehört zu 100% dem Staat Bayern und meiner Meinung nach wäre die bayerische Landesregierung da nun in der politischen Verantwortung. Der Staat kann nicht einfach eine Bank besitzen und sich nicht für das interessieren, was diese menschenrechtlich macht. In dem Punk müssen wir den Banken deutlich machen, dass sie so nicht agieren können. Die Regierung ist für das Handeln der Bank verantwortlich und muss dafür rechenschaftspflichtig sein.
Wie die aktuellen Nachrichten zeigen, hat der öffentliche Druck der Zivilgesellschaft auf die Banken erste Wirkungen gezeigt. Am Freitag, den 24. Februar, verkündete die Bayerische Landesbank, dass sie eine weitere Finanzierung der Pipeline ausschließen will. Die bisherigen Kredite bleiben jedoch bestehen. Auch wenn dies den Bau der Pipeline vermutlich nicht stoppen wird, zeigt es, wie viel Einfluss wir als Bürger, egal ob vor Ort oder nicht, nehmen können. Und dies auch weiterhin tun sollten.
Wir berichten regelmäßig auf unserem Blog über die verschiedenen Konflikte zwischen dem neuen US-Präsidenten Trump und den Native Americans. Alle Beiträge im Überblick finden Sie hier: Indigener Widerstand gegen Trump