Anhaltende Konflikte in Syrien

Am 4. März 2021 jährt sich der syrische Aufstand gegen Assad zum zehnten Mal. Daran beteiligt sind längst nicht mehr nur die Auslöser des Konflikts, sondern auch Großmächte wie Russland und die USA.

Von Jasper Killewald; Foto: GfbV Archiv 2016

„Syrien, Gott und Freiheit!“

Dieser Ausruf war einer der vielen, die bei den friedlichen Demonstrationen 2011 gerufen wurden. Mit diesen begann der nun zehn Jahre anhaltende Konflikt in Syrien gegen das Regime um den Machtinhaber Baschar al Assad. Die Gründe für den Konflikt waren vielfältig: steigende soziale Ungerechtigkeiten, keine Perspektive – vor allem für die jungen Menschen. Darüber hinaus gab es Einschränkungen, die das Volk der politischen Teilhabe beraubten. Keine kompetitiven Wahlen, keinerlei Versammlungsfreiheiten und Diskriminierung der Minderheiten insbesondere der Kurd*innen. Die Demonstrant*innen änderten das Regierungsmotto „Syrien, Gott und Baschar“ in „Syrien, Gott und Freiheit“ um. Zur Eskalation der Proteste führten die Verhaftungen von Jugendlichen, die regimekritische Sprüche an Häuserwände gemalt hatten. Infolgedessen kam es zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen der Armee und den Regimekritiker*innen. Soldaten der Armee liefen zu den Rebellen über. Die Rebellen waren jedoch dezentral organisiert und bildeten keine in sich geschlossene Einheit.

Internationalisierung des Konfliktes

Mit zunehmender Dauer des Konflikts kamen mehr und mehr Konfliktparteien hinzu. Auch der sich sogenannte Islamische Staat (IS) trug viel zur Vernichtung und der Gewalt innerhalb des Landes bei. Doch nicht nur innerstaatliche, sondern auch internationale Konfliktparteien wurden über die Jahre mehr. Diese unterstützten – teilweise bis heute – unterschiedliche Akteure. Ob mit Waffen, Geld oder sogar Truppen. Oder durch Stimmen des Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN), durch die das Assad-Regime von China und Russland gestützt wurde. Darüber hinaus erhielt das Regime Unterstützung vom Iran. Die Rebellen auf der anderen Seite werden unterstützt durch die USA und diverse europäische Mächte. Eine Sonderrolle in diesem Konflikt spielt die Türkei. Zunächst als Unterstützer der Rebellen, wechselte die Türkei ihre Politik im Jahr 2012 und sieht seitdem Syrien als Gefahr an. Zurückzuführen ist dies einerseits auf die religiösen Konflikte, die durch syrische Geflüchtete entstehen konnten, aber vor allem auf die Befürchtung, es könne sich eine weitere autonome kurdische Region bilden – wie im Irak.

Ein Kampf für Menschenrechte?

„In den ersten Jahren nach dem Beginn der Revolte waren das Regime und seine Verbündeten Russland und Iran für die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich“, berichtet Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. „Inzwischen tragen das NATO-Mitglied Türkei und die von der Türkei unterstützten islamistischen Milizen die Hauptverantwortung für Verbrechen an der nicht-sunnitischen und nicht-arabischen Bevölkerung.“ Zu den leidenden Gruppen gehören die kurdischen, armenischen, assyro-aramäisch-chaldäischen, christlichen, drusischen, yezidischen sowie weitere Minderheiten.

Angefangen mit vom Regime ausgehenden Menschenrechtsverletzungen gibt es nach zehn Jahren keine bewaffnete Konfliktpartei mehr, die keine schweren Menschenrechtsverletzungen begehe, so Dr. Kamal Sido: „Es vergeht kein Tag, an dem es nicht zu außergerichtlichen Morden, Verhaftungen, Verschwindenlassen, Folter, Zwangsumsiedlung und Vertreibung kommt.“

Ursprünglich hatte das syrische Volk für mehr Mitspracherecht, einen Politikwechsel und eine bessere Zukunft demonstriert. Nach über zehn Jahren sind diese Ziele jedoch weiter entfernt als vorher. Die syrische Bevölkerung sehnt sich nach langen Jahren voller Verlust und Zerstörung nur noch eins: ein Ende des Blutvergießens.

Schockierende Zahlen

Fast 60 Prozent der Bevölkerung haben dabei nicht genug zu essen. Es handelt sich dabei um mehr als zwölf Millionen Menschen (nach Angaben der Welthungerhilfe). Zusätzlich zum Hungerleiden sollen nach Berichten verschiedener Menschenrechtsorganisationen allein im vergangenen Jahr 2020 rund 1.734 Zivilisten getötet worden sein, darunter 326 Kinder und 169 Frauen. Es kam zu 1.882 willkürlichen Verhaftungen, 157 Menschen sollen zu Tode gefoltert worden sein. Auch 2020 wurden Hunderttausende vertrieben oder mussten ihre traditionellen Wohnorte verlassen. Für die meisten dieser Verbrechen sind weiterhin das Regime in Damaskus und seine Verbündeten verantwortlich. Viele Verbrechen gehen jedoch auf das Konto der Türkei und der islamistischen Milizen, die sie unterstützt. Diese Milizen oder ihre politischen Vertretungen erhalten auch Rückendeckung von anderen NATO-Mitgliedern wie Deutschland. 

Ein Ausweg?

Die unterschiedlichen Parteien handeln dabei mit unterschiedlich klaren Linien, beziehungsweise mit unterschiedlichem Nachdruck. Während Russland ein klar definiertes Ziel habe – die Aufrechterhaltung des Regimes in Damaskus -, handle die NATO strategielos und in sich uneinig, berichtet Sido. Europas Mutlosigkeit und der Irrweg der amerikanischen Regierung, insbesondere unter Trump, sei für die Menschen vor allem in Nordsyrien zur Katastrophe geworden. Sido zieht folgendes Fazit über die Situation der Menschen in Syrien: „Die kurdische und andere Volksgruppen in Nordsyrien haben jahrelang westliche Werte wie ethnische und religiöse Vielfalt, Frauenrechte und ein friedliches Miteinander gegen den sogenannten ‚Islamischen Staat‘ verteidigt und ein demokratisches Syrien nach Assad gefordert. Der Westen, insbesondere Donald Trump und Angela Merkel, haben sie ans Messer Erdogans geliefert. Diese verfehlte Politik hat Putin, Erdogan, Assad und die syrischen Islamisten gestärkt. Demokratische Staaten scheinen kaum handlungsfähig. Und das Beschwören universeller Menschenrechte kann in Nordsyrien nur zynisch wirken.“ Sido fordert deshalb einen entschlossenen Politikwechsel der Nato-Mächte – vor allem Deutschlands.

Fazit

Zehn Jahre Konflikt, zunehmende Anzahl an Konfliktparteien und internationale Differenzen, die auf syrischem Boden ausgetragen werden. Doch noch immer ist kein Ende in Sicht. Was als Demonstration für mehr Freiheit und Gerechtigkeit gegen ein Demokratie-kritisches Regime begonnen hat, hat dieses Ziel schon länger aus den Augen verloren. Das wichtigste Ziel für die Menschen in Syrien heißt nun: Den Krieg beenden und in Frieden und Sicherheit leben. Zusammen als syrisches Volk.


Lesen Sie weiterführend:

https://www.gfbv.de/de/aktiv-werden/kampagnen-petitionen/beharrlich-und-mit-zuversicht-fuer-frieden-und-gerechtigkeit/

https://www.gfbv.de/de/news/jahrestag-des-tuerkischen-angriffs-auf-nordsyrien-9-10-10261/

https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/laender-und-regionen/syrien/

https://www.gfbv.de/de/news/verfassungsgespraeche-fuer-syrien-25-01-10415/

https://www.gfbv.de/de/news/afrin-drei-jahre-nach-der-invasion-10406/

https://www.gfbv.de/de/news/gewalt-in-syrien-10025/

Quellen: GfbV & https://www.bpb.de/apuz/155110/ziviler-protest-aufstand-buergerkrieg-und-zukunftsaussichten?p=all

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