Zwischen Moldawien und der Ukraine befindet sich ein politisches Gebilde, welches alle Attribute eines Staates hat: Fahne, Regierung, Armee und Zentralbank. Transnistrien ist aber den meisten Menschen unbekannt. Dennoch ist dieses de-facto Regime von zentraler Bedeutung in der Einflussstrategie Russlands gegenüber den ehemaligen Satellitenstaaten der UdSSR in Osteuropa.
Von Thelma Divry; Foto: STRINGER / EPA/MAXPPP
Was ist Transnistrien?
Bei Bildern aus dieser Region, die sich selbst als Pridnestrowischen Moldauischen Republik bezeichnet, fällt zunächst auf, dass sich nicht viel seit der Sowjetzeit verändert hat. Neben Hammer und Sichel erwartet man eine Statue des siegreichenden Lenins, und man findet die in Tiraspol, der Hauptstadt dieses Staates, der weder von der UNO noch von seinen Nachbarstaaten anerkannt wird. Die Zeit scheint dort stillzustehen.
Obwohl die Region sich bereits durchaus weiterentwickelt hat, ist es schwierig diese Bilder außer Acht zu lassen. Diese seltsame Stimmung erweckt Erstaunen, vor allem aus unserer westlichen Perspektive: Handelt es sich um Verweigerung? Um Nostalgie? Die Erklärung ist aber viel subtiler als eine einfache Sehnsucht nach alten Zeiten.
https://www.dw.com/en/transnistria-russias-satellite-state-an-open-wound-in-eastern-europe/a-48942598
Für die internationale Gemeinschaft ist Transnistrien ein autonomes Gebiet Moldawiens. Die transnistrische Identität unterscheidet sich aber völlig von der des übrigen Landes. Der schmale Gebietsstreifen wird vor allem von russischsprachigen Bevölkerungsgruppen bewohnt und dies hat zu einer starken Identifizierung mit der russischen Identität geführt, unabhängig vom slawischen oder vom moldawischen Erbe der Einwohner.
Diese russische Identität der Bevölkerung Transnistriens hat zum Bruch mit Moldawien geführt. Die Auflösung der UdSSR schaffte in den Satellitenstaaten ein ideologisches Vakuum, was die Rückkehr des Nationalbewusstseins zur Folge hatte. Nun besannen sich die Moldauer auf ihre rumänische Identität. Und so löste einen Dominoeffekt aus, welcher 1992 zum Transnistrien-Konflikt führte. Der moldawische Versuch, das Gebiet zurückzuerobern, scheiterte kläglich, da die Rebellen durch die 14. russischen Armee unterstützt wurden. Nach hunderten Toten, der Scheinunabhängigkeitserklärung Transnistriens und der Unterzeichnung des Friedensschlusses im Juli 1992 wurde der eingefrorene Konflikt zum Status Quo.
Die Rolle Russlands in Transnistrien
Eine Konstante der Entwicklung Transnistriens ist die Allgegenwärtigkeit Russlands: Transnistrien richtet sich voll und ganz auf Russland und Moskau hat die angebotene Beschützerrolle de facto akzeptiert. Obwohl die Unabhängigkeit Transnistriens auch von Russland nicht anerkannt wird, ist die Kooperation zwischen den zwei Ländern vielfältig und von wesentlicher Bedeutung für Transnistrien, dessen Wirtschaft am Tropf Russlands hängt, das 70% des transnistrischen Haushaltes subventioniert. Im militärischen Bereich verhält es sich nicht anders: Die Armee von Transnistrien besteht aus der oben erwähnten 14. Armee Russlands und profitiert von einem Waffenarsenal, das zur „Bewahrung des Friedens und der Sicherheit“ der russischen Minderheiten in Moldawien zurückgelassenen wurde. Dieser Zustand gilt für die internationale Gemeinschaft als illegale Besatzung des moldawischen Staatsgebiets.
Der prägende Einfluss Russlands auf die politische Ideologie Transnistriens steht außer Zweifel. Ein Referendum begründete 2006 den seitdem immer wiederholten Wunsch Transnistriens, der Russischen Föderation beizutreten. Doch Russland hat hierauf mit bloßer Indifferenz reagiert und verweigert dem Regime jegliche rechtliche Anerkennung.
Welche Zukunft für Transnistrien?
Transnistrien scheint also in einer Zwischensituation gefangen zu sein: Das Gebiet ist weder ein richtiger Staat noch ein richtiger Teil Moldawiens oder der Russischen Föderation. Doch Moskau hat in den letzten Jahren seinen Ausbreitungswille wiederholt gezeigt. Ist zu erwarten, dass Transnistrien dasselbe Schicksal droht wie 2014 der Krim? Die Indizien ergeben ein widersprüchliches Bild.
Russland baut seinen Einfluss in Transnistrien, vor allem durch finanzielle, humanitäre und militärische Unterstützung aus, wie wir gesehen haben, aber auch durch einen Appell an gemeinsame religiöse und kulturelle Werte. Dieses Phänomen ist aber auch in anderen von russischen Minderheiten bevölkerten Regionen der Fall, zum Beispiel in Georgien oder in der Ukraine.
Indem Russland eine globalere Ausdehnung seiner Einflussmacht vorantreibt und sich in seiner Strategie nicht an Transnistrien einschränkt, steht eine spätere Annektierung Transnistriens nicht so sicherlich auf der russischen Agenda. Im Gegensatz zur Krim liegt das Gebiet nicht an der Grenze zu Russland und verfügt über sehr wenige Rohstoffe. Überdies wäre der Eingliederungsprozess kostenaufwendig: Isolierung und Legitimitätsverlust auf der Weltbühne, mögliche Sanktionen aus den Westen und materielle Kosten in der Region. Es ist offensichtlich, dass es für Russland keine Win-Win-Situation wäre. Der leidenschaftliche Eingliederungswunsch Transnistriens ist für Russland kein Grund, auf die Vorteile des aktuellen Status Quos zu verzichten. Transnistrien ermöglicht Russland, sich der NATO im Schwarzen Meer und der Ausdehnung der EU in Ost-Europa entgegenzustellen. Russland tritt als Vormacht in der Region auf, denn sein Einfluss erhält den friedlichen Status Quo in Moldawien aufrecht. Zusätzlich zur internationalen Legitimität und Vormachtstellung, werden das ganze Gebiet Moldawiens, sowie das der Ukraine unter Druck gesetzt. Ihre Annäherung an der EU hängt vom guten Willen Moskaus ab. Mit der Zukunft Transnistriens verhält es sich ebenso.
Transnistrien scheint also zu einer halbherzigen Zwischenposition verdammt zu sein. Es bildet eine graue Zone im Zentrum der geopolitischen Strategie Russlands. Diese russische Minderheit klammert sich immer noch hoffnungsvoll an Moskau, das ihr jedoch weitgehend gleichgültig gegenübersteht und sie lediglich als Machtmittel betrachtet. Die Verwirklichung des Wunsches Transnistriens bleibt äußerst unsicher und so klammert sich Transnistrien an sein sowjetisches Erbe, welches im Vergleich zur ungewissen Zukunft greifbarer scheint.
Quellen:
LERNOUD, F. (2018). Transnistrien, Ein Land, dass es nicht gibt. Mit offenen Karten – Arte TV.
MIARKA, A. (2019). Para-states as an instrument for strengthening Russia’s position – the case of Transnistria. Journal of Strategic Security. 13(2). pp1-18.
GRIGAS, A. (2016). Frozen Conflicts: A Tool Kit for US Policymakers. Atlantic Council. pp. 2-7.
LITRA, L. (2014). Regional Repercussions of the Ukraine Crisis: Challenges for the Six Eastern Partnership Countries. German Marshall Fund of the United States. pp. 28-33.