Die unbekannten Grausamkeiten zwischen Afrika und dem Nahen Osten

Zwischen Afrika und dem Nahen Osten liegt für Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan die Hölle: Menschenhändler entführen und foltern sie, die ägyptischen Behörden schauen weg oder sind teils sogar aktiv beteiligt an dem grausamen Handel und die israelischen Behörden wollen die Flüchtlinge nur wieder loswerden. Die Sinai-Wüste scheint ein Ort zu sein, an dem internationales Recht nicht gilt.

von Courtney Boyd; Foto: pixabay.vom

Die Sinai-Halbinsel ist den meisten Menschen im Westen wohl nur aufgrund der religiösen Bedeutung der Wüste bekannt oder weil sie im Sechstagekrieg und im Jom-Kippur-Krieg stark umkämpft war. Doch die Sinai-Halbinsel ist auch ein Schauplatz schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen: Seit 2009 wurden Flüchtlinge aus dem Sudan und Eritrea zu Tausenden Opfer von Entführungen. Menschenhändler verschleppen sie aus Flüchtlingslagern, die meist im Osten Sudans gelegen sind, in den Sinai. Einige jedoch werden direkt in der Nähe ihrer eritreischen Heimat entführt, wo ein kleiner Teil der Völker der Rashaida, Beduinen und Hidarib Menschenhandel aus Eritrea heraus betreibt. Wenn die Menschenhändler ihre Opfer in der Sinai-Wüste verschleppt haben, zwingen sie die Flüchtlinge, Telefonnummern von Familienangehörigen anzugeben. Das Ziel der Menschenhändler ist es, Lösegeld für die entführten Flüchtlinge zu erpressen. Um dies zu erreichen, werden die Opfer auf grausamste Art und Weise gefoltert, während ihre Familienangehörigen am Telefon zuhören müssen.

In den seltenen Fällen, in denen die entführten Flüchtlinge mit dem Leben davonkommen, werden sie in der Nähe der israelischen Grenze ausgesetzt. Doch in Israel bekommen sie kein Asyl. Im Gegenteil: Israel interniert die Flüchtlinge in Lagern, wo sie unter schlechten Bedingungen auf unbestimmte Zeit leben müssen. Der israelische Staat bietet ihnen sogar Geld an, damit sie entweder in ihre Heimat zurückkehren oder in ein anderes Land weiterziehen. Im Zeitraum von Juli 2009 bis August 2013 hat Israel nur 0,15 Prozent der Asylbewerber als Flüchtlinge anerkannt – weniger als jedes andere Land der westlichen Welt. Schockierend ist dabei, dass 90 Prozent der Menschen, die in Israel Asyl beantragen, aus Eritrea oder dem Sudan stammen. In allen anderen Ländern der Welt sind ihre Chancen auf Asyl wesentlich höher: So bekommen Eritreer weltweit mit einer 82 prozentigen Wahrscheinlichkeit Asyl, Sudanesen zu 68 Prozent.

Viele Flüchtlinge aus dem Sudan und Eritrea erleben auf ihrer Flucht nach Israel unbeschreibliches Leid: Menschenhändler, die früher Flüchtlinge nach Israel geschleust haben, entführen sie und erpressen von ihren Angehörigen Lösegeld zwischen 15.000€ und 40.000€.

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Doch eine Rückkehr ist für die Flüchtlinge keine Möglichkeit, denn die Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan fliehen aus Ländern, in denen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Folter, unmenschliche Haftbedingungen, Zwangsarbeit und ernsthafte Beschränkungen von Bewegungs- und Religionsfreiheiten auf der Tagesordnung stehen. Eine Rückkehr nach Eritrea oder in den Sudan würde eine große Gefahr für die Flüchtlinge bedeuten.

Eritrea ist eine in der Region völlig isolierte Republik, in der alle Bürger einen Militärdienst absolvieren müssen, der die Menschen oft jahrzehntelang unter harschen Bedingungen in Militärkasernen festhält und Zwangsarbeit und Sklaverei gleichkommt. Eine freie Berufswahl ist nicht möglich, oft auch nicht nach vielen unfreiwilligen Jahren im Militär. Das Einparteiensystem des Staates ist undemokratisch und bewacht seine Bürger. Flucht ist nur sehr schwer möglich, und der Staat übt oft auch noch im Ausland Angst und Schrecken auf Eritreer aus. Für Eritreer ist es daher beinahe unmöglich, ihr Heimatland auf legale Weise zu verlassen. Vielen bleibt nur eine illegale Flucht, um einer zwangsweisen Rekrutierung zum Militärdienst zu entgehen. Im Falle einer Rückkehr ist das Risiko groß, dass sie gefoltert und unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert werden.

Auch der Sudan ist ein Staat, der auf Unterdrückung und Gewalt aufgebaut ist. Sudanesen werden willkürlich verhaftet, verfolgt und von Sicherheitskräften gefoltert. Werden Flüchtlinge in diese Länder abgeschoben, droht ihnen Folter und eine Haftstrafe in überfüllten und von Gewalt geprägten Gefängnissen, denn für sudanesische Bürger ist es offiziell illegal, Israel zu besuchen.

Wer Opfer von Folter und Menschenhandel in der Wüste Sinai wird, ist offensichtlich rechtlich beschützt nach den Regeln des UN-Abkommens zur Rechtsstellung von Flüchtlingen, das auch Israel unterschrieben hat. Doch auch Flüchtlinge aus Eritrea, die nicht entführt wurden, haben ein Recht auf Asyl. Der wichtigste Grund dafür ist der unfreiwillige Militärdienst, der Männer wie Frauen jahrelang unter harschen Bedingungen zum Soldatendasein zwingt. So sind den Richtlinien des UNHCR zufolge Eritreer, die sich dem Militärdienst verweigern, bedroht. Daher erkennen alle westlichen Länder, mit der Ausnahme der Schweiz, Deserteure des eritreischen Militärs als Flüchtlinge an.

Doch Israel sieht das nicht so und ignoriert den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung[i] aus der UN-Flüchtlingskonvention. Der israelische Innenminister Gid’on Saar erklärte bereits im August 2013, dass ein Abkommen mit einem Drittstaat unterzeichnet worden sei, an den von nun an Flüchtlinge weitergereicht würden. Dieser Drittstaat wurde jedoch nie weiter benannt.

Auf dem Berg Sinai steht ein Schild, das vor Gefahren warnt. Für Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan besteht allerdings die Gefahr nicht im Herabstürzen vom Berg, sondern durch skrupellose Menschenhändler, die mit den Flüchtlingen ein perfides Geschäft aus Erpressung und Folter betreiben.

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Israel verstößt mit seiner Asylpolitik gleich gegen mehrere internationale Abkommen wie die UN-Konvention über den Status von Flüchtlingen, die UN-Konvention gegen Folter und die Internationale Konvention über bürgerliche und politische Rechte. Doch ist es nicht der einzige Staat, der angesichts der Menschenrechtsverletzungen in der Sinai-Wüste seine Hände in Blut tränkt. Denn der Menschenhandel und die grausame Folter im Sinai geschehen auf ägyptischem Boden. Zwar hat die Regierung Ägyptens 2010 ein Gesetz verabschiedet, das Menschenhandel verbietet. Das heißt aber nicht, dass aktiv dagegen vorgegangen wird. Berichten zufolge haben Sicherheitskräfte und offizielle Behörden Anklagen gegen eigene Beamte ignoriert, die am Handel beteiligt gewesen sein sollen. Auch untersuchte die Polizei keine der Vorwürfe gegen die grausamen Menschenhändler im Sinai, versäumten, die Fahrzeuge zu untersuchen, mit denen Migranten über Brücken transportiert wurden, die vom Innenministerium kontrolliert werden, und nahm Bestechungsgelder von Menschenhändlern an. Im Jahr 2012 gab es beispielsweise nur fünf Verhaftungen wegen Menschenhandels. Dies ist besonders erstaunlich, da die Namen der Menschenhändler vom Sinai den Sicherheitsleuten wohlbekannt sind. Unseren Quellen zufolge konzentrieren sich die ägyptischen Behörden lieber darauf, Sicherheit auf den Straßen des Sinai zu schaffen, als sich um „illegale afrikanische Immigranten“ zu kümmern. Sie schicken Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurück, wo sie mit Folter und Haft rechnen müssen, oder nehmen sie einfach fest. Berichten zufolge wurden Überlebende der Entführungen bis zu zehn Monate in Gefängnisse gesteckt und dazu gezwungen, Geld für ihre eigene Abschiebung zu sammeln.

Angesichts solcher Berichte ist es schockierend, wenn europäische Politiker einen „Flüchtlingsdeal“ mit Ägypten nach türkischem Vorbild fordern. Für Flüchtlinge aus dem Sudan und Eritrea ist es schon jetzt fast unmöglich, Europa zu erreichen. Meist endet ihr Versuch tödlich: Durch Folter in der Sinai-Wüste, nach der Abschiebung aus Israel oder Ägypten in ihre tödlichen Heimatländer oder beim verzweifelten Versuch, das Mittelmeer Richtung Europa zu überqueren.


[i] Der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, der die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Es ist als Grundprinzip des humanitären Umgangs mit Flüchtlingen anerkannt.

Übersetzt aus dem Englischen von Flora Hallmann und Benjamin Dietrich

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[Zur Autorin]

COURTNEY BOYD ist in der Welt zu Hause. Sie studiert Entwicklungsforschung an der Drexel University in Philadelphia/Pennsylvania, absolviert aber gerade ein Auslandssemester an der American University in Kairo. Bevor sie allerdings ihr neues Zuhause in Kairo bezog, hat sie ein Semester lang in Malawi bei World Vision International gearbeitet.

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