Es reicht!

Der Kurd*innenkonflikt beschränkt sich seit einiger Zeit nicht mehr nur ausschließlich auf die Türkei. Mittlerweile müssen Kurden und Angehörige von anderen Minderheiten sich auch in Deutschland Parolen von türkischen Nationalisten gefallen lassen. Dem jungen Deutschkurden Hakki Bayrak aus Bremen reicht es.

von Hakki Bayrak; Foto: GfbV-Archiv

Meine Schule hat eine „AG Schule ohne Rassismus“. Dort setzen wir uns seit Jahren gegen Rassismus ein. Ich bin vor kurzem aus dieser AG ausgetreten, weil einige der Schüler, mit denen ich mich dort engagiere, sich wie türkische Nationalisten aufführen. Sie hetzen auf dem Schulhof gegen Kurden, gegen Armenier und gegen alle, die sich für die Minderheiten in der Türkei einsetzen. Ich frage mich, wie können sich Schüler*innen, die sich für Demokratie, Freiheit und Frieden einsetzen, so äußern? Woher kommt dieser nationalistische Mist in deren Köpfen? Werden meine Mitschüler*innen von den Eltern indoktriniert, von den türkisch-nationalistischen Medien, die jeden Kurden, der die Türkei kritisiert, als „Terroristen“ bezeichnen?

Ihr meint, ich reagiere zu empfindlich? Wenn ihr wissen wollt, warum, dann hört meine Geschichte:

Es ist das Jahr 1993 – ich bin noch nicht geboren. Meine Eltern leben im Südosten der Türkei – von vielen Kurden auch Nordkurdistan genannt. Das türkische Militär kämpft gegen die PKK, die kurdische Untergrundorganisation. Diese militärischen Auseinandersetzungen kosteten bereits Zehntausende Menschen das Leben und verwüsteten die Heimat meiner Familie. Dörfer werden niedergebrannt, Menschen verhaftet und gefoltert. Meine Eltern fliehen. Auf der Flucht wird meine älteste Schwester geboren. Viermal versuchen meine Eltern in Deutschland Asyl zu erhalten. Dreimal werden sie wieder in die Türkei abgeschoben. In das Land, in dem Kurden diskriminiert, verfolgt und bisweilen auch getötet werden.

Seit über 20 Jahren leben meine Eltern nun in Deutschland – in Frieden. Hier wurde ich vor achtzehn Jahren in einem Flüchtlingswohnheim geboren. Hier möchte ich leben. Aber zur Ruhe komme ich nicht. Denn der nationalistische Hass, der Leid über meine Eltern brachte und sie aus ihrer Heimat vertrieb, holt auch mich in Deutschland immer wieder ein.

„Ne mutlu Türkum diyene“ – „Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet“ hallt es durch die Schule. Und das mitten in Bremen. Türkischstämmige Mitschüler skandieren eine Parole, die in der Türkei – auch in Schulen – allgegenwärtig ist. Wisst ihr eigentlich, was ihr da ruft? Für mich ist das eine nationalistische Parole, weil sie andere ausschließt und diskriminiert: die Kurden, Armenier, Griechen und andere Minderheiten in der Türkei. Sie verletzt mich.

Warum macht ihr gemeinsame Sache mit türkischen Ultranationalisten, die sich „Osmanen“, „Atatürken“ oder „Graue Wölfe“ nennen? Warum findet ihr die toll? Was habt ihr mit jenen zu schaffen, die auf eine gewalttätige Geschichte stolz sind? Die leugnen, dass bei der Gründung der türkischen Republik Kurden unterdrückt und Massaker an ihnen verübt wurden. Die Jahrzehnte die kurdische Sprache, Kultur und Identität verboten haben; geleugnet haben, dass es Kurden überhaupt gibt. Darauf seid ihr stolz und beklagt euch im gleichen Atemzug über deutsche Nationalisten, die euch in Bremen und anderswo diskriminieren? Wie verlogen ist das denn?

Es gäbe so viel über Unrecht und Gewalt zwischen Türken und Kurden zu erzählen, aber ich befürchte, ich erreiche euch nicht, euren Verstand nicht, eure Herzen nicht. Als der türkische Präsident Erdoğan Friedensverhandlungen mit der PKK aufgenommen hatte und den Kurden die Gleichstellung versprach, die Benutzung der kurdischen Sprache in Schulen und mehr Selbstbestimmung, da wart ihr aufgebracht. Wütend. Aggressiv. „Das ist unser Land!“, habt ihr gerufen. Nun wird wieder gekämpft. Wieder sterben Menschen.

Seid ihr jetzt zufrieden? Seid ihr jetzt glücklicher? Ich bin es nicht. Ich bin enttäuscht – auch von meiner Regierung in Deutschland. Damit Erdoğan für die EU die Grenze gegen Flüchtlinge sichert, hält Europa den Mund. Sind jetzt all die vielen Toten vergessen? Êdî bese! Es reicht!

Dieser Artikel erschien zuerst in der 10. Ausgabe 2016/2017 von Deutschlands größter Schülerzeitung, der „Q-rage„. Wir bedanken uns ganz herzlich für die Abdruckgenehmigung.

[Zum Autor]

HAKKI BAYRAK lebt in Bremen und besucht dort momentan die Schule. Seine Eltern flohen in den 1990er Jahren aus dem Südosten der Türkei vor den militärischen Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der kurdischen PKK.

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