„Wir kämpfen gegen den Klimawandel. Wir kämpfen für die ganze Welt!“

Indigene Völker sind die Ersten, die die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen. Ob sie in der Arktis leben oder in den heißen Gebieten Afrikas, ob auf einer Pazifikinsel, im Regenwald Südamerikas oder im hohen Norden Schwedens. Sie alle fühlen die Klimaveränderungen. Indigene Umweltschützer aus aller Welt haben deswegen Hilferufe ihrer Gemeinschaften zum UN-Klimagipfel nach Paris gebracht.

von Michaela Böttcher; Foto: Breno Machado via unsplash

Der Wind dreht die kleinen Pappbäumchen, die an einer Konstruktion aus weißen Ästen hängen, vor dem Konferenzgebäude in rasender Geschwindigkeit. Freiwillige Helfer begrüßen die Besucher mit einem Lächeln und zeigen die Richtung an, in die sie gehen sollen. Vorbei an Kreiszylindern mit den Flaggen der teilnehmenden Nationen, hinter denen sich der Haupteingang zum UN-Klimagipfel versteckt. Dort haben zwei Wochen lang Staatschefs, Minister, sogenannte Unterhändler, Lobbyisten und Aktivisten über ein globales Umweltabkommen beraten und verhandelt. Bereits im Vorfeld des Klimagipfels wurde immer wieder gewarnt, dass dies die letzte Chance sei, den Klimawandel zu stoppen und die Welt zu retten. Rodion Sulyandziga ist einer von ihnen. Dem Co-Vorsitzenden des internationalen Netzwerks Indigenous Peoples Forum on Climate Change ist die Bedeutung des Klimagipfels bewusst.

Sulyandziga, der das Zentrum für die Zusammenarbeit der indigenen Völker des Nordens (CSIPN) in Russland gegründet hat, sollte bereits bei der UN-Weltkonferenz der indigenen Völker im September 2014 eine Diskussion über die Ausbeutung der Arktis und  die Folgen für die indigene Bevölkerung leiten. Doch russische Behörden ließen ihn nicht ausreisen. Jetzt, im Dezember 2015, ist er in Paris vor Ort und findet klare Worte für die Tragweite der Konferenz: „Dieses Treffen ist ein historischer Moment für alle Menschen, um den Planeten zu retten.“ Die Ausbeutung der Erde müsse beendet werden. Dies könne nur erreicht werden, wenn alle Menschen, Aktivisten, Regierungen, Nationen und Akteure zusammenarbeiten, bekräftigt Sulyandziga.

Indigene Umweltschützer aus aller Welt kamen zum UN-Klimagipfel nach Paris. Auch die Samen aus Norwegen waren unter den Aktivisten, die im Indigenen-Pavillon über die Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben berichteten. Foto: Michaela Böttcher für GfbV

„Indigene Völker sind die Ersten, die die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen“, mahnt Victoria Tauli-Corpuz, UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte indigener Völker. „Wir leben in empfindlichen Ökosystemen und sind direkt vom Klimawandel betroffen.“ Deswegen sei es so wichtig, dass Klimaschutz die Menschenrechte indigener Völker berücksichtige, damit diese aktiv bei der Rettung der Erde mitwirken könnten. Tauli-Corpuz nutzt den UN-Klimagipfel, um sich mit indigenen Umweltschützer auszutauschen. Ihr liegt es am Herzen, dass indigene Stimmen bei den Verhandlungen gehört werden. Der Indigenen-Pavillon auf dem Messegelände des Klimagipfels bietet genau diese Möglichkeit. Indigene Umweltschützer haben dort während des Gipfels über die Situation ihrer Gemeinschaften, die Folgen des Klimawandels sowie ihre Forderungen, die sie an die Staatschefs haben, informiert. Gleichzeitig war es für viele indigene Aktivisten das erste Mal, dass sie andere Mitstreiter aus allen Teilen der Welt getroffen haben und sich in ihrem Kampf vernetzen konnten. So auch Casey Camp von der Ponca Nation aus Oklahoma, USA. „Es fühlt sich gut an, hier unter euch zu sein, weil ich euch verstehe. Ich verstehe, wo ihr herkommt. Ich bin ein Teil von euch“, sagte sie bei der Eröffnungszeremonie des Indigenen-Pavillons.

So wie ihr geht es vielen Anwesenden. Ob sie in der Arktis leben oder in den heißen Gebieten Afrikas, ob auf einer Pazifikinsel, im Regenwald Südamerikas oder im hohen Norden Schwedens. Sie alle fühlen die Klimaveränderungen, sie alle bringen die Hilferufe ihrer Gemeinschaften nach Paris. Okalik Eegeesiak von den Inuit ist beim UN-Klimagipfel, damit Samen- und Inuit-Kinder so leben können, wie sie es möchten und wie es ihre Vorfahren bereits getan haben. Tuaine Elaine Marsters nahm den Weg von den Cookinseln auf sich. Ihre Insel liegt nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Falls der Klimawandel nicht gestoppt werden kann, werden ihr Zuhause sowie die anderen Cookinseln im Meer versinken. Marsters erzählt von der engen Beziehung, die die Menschen dort untereinander und zur Erde haben. Bis heute versuchen sie, ein nachhaltiges Leben zu führen: Die Männer gehen fischen, um den Fang anschließend auf alle Familien in der Gemeinschaft gleich zu verteilen. „Auch wenn wir jetzt Arbeit und Geld haben, pflegen wir weiterhin unsere enge Beziehung untereinander. So werden wir niemals arm sein“, erklärt sie. Auch das Verständnis über ein Leben im Einklang mit der Natur wird in den Gemeinschaften weitergegeben. Nach der Geburt eines Kindes vergräbt die Familie die Plazenta im Garten und pflanzt einen Baum darauf: „Das ist unsere Beziehung zur Erde. Wir werden uns niemals von diesem Land abwenden, weil es mit uns verbunden ist. Der Baum wird die ganze Insel ernähren. So leben wir unser Leben. Wir leben für die Zukunft und abhängig von den Ressourcen, die uns die Natur gibt.“

Tuaine Elaine Marsters erzählte im Gespräch über die enge Beziehung, die die Menschen der Cookinseln mit der Natur pflegen. Foto: Michaela Böttcher für GfbV

Indigene Gemeinschaften weltweit haben nicht nur mit dem Klimawandel zu kämpfen. Ihr Leben wird auch von Landraub, illegalen Holzfällern oder Drogenschmugglern bedroht. Manchmal mit traurigem Ausgang. Diana Rios‘ Vater war gemeinsam mit Edwin Chota und zwei weiteren Männern der Asháninka-Gemeinde in Peru am 1. September 2014 im Regenwald unterwegs, als sie von illegalen Holzfällern ermordet wurden. Jetzt sitzt die 21-jährige Frau im Messebereich des UN-Klimagipfels und spricht über den nicht enden wollenden Kampf ihrer Gemeinschaft. Tränen kullern über ihr Gesicht, ab und an versagt ihre Stimme. 15Monate sind seit der Ermordung ihres Vaters vergangen, aber bis heute hat die Familie den Leichnam nicht erhalten. Er ist noch immer nicht gefunden worden. „Es ist unglaublich, dass wir unseren Tod riskieren müssen, um der Regierung zu sagen, dass sie nicht das tut, was sie machen sollte, um uns zu schützen. Ganz im Gegenteil, der Staat investiert in Dinge, die gefährlich für uns sind“, klagt Rios. Erst einen Tag zuvor, am 1. Dezember 2015, sprach der peruanische Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal Otaróla beim Klimagipfel und behauptete, dass es in Peru keine Probleme in den indigenen Gebieten gebe. Das macht Rios wütend: „Wie kann er sagen, dass Peru seine indigenen Völker unterstützen würde, doch zu Hause wird nicht entsprechend gehandelt? Wir müssen sterben, um unsere Landrechte zu bekommen!“ Selbst beim Klimagipfel zu sein, gibt ihr Mut und Kraft weiterzumachen. Sie ist stolz, dabei sein zu können, um ihre Gemeinschaft in Paris zu vertreten und Gehör zu finden. Sie wünscht sich, dass bei den Gesprächen in Paris, aber auch bei anderen Entscheidungen, indigene Völker als Verteidiger der Natur wahrgenommen werden. „Wir kämpfen gegen den Klimawandel. Wir kämpfen für die ganze Welt, nicht nur für uns!“

Diana Rios aus Peru (l.) sprach über den Tod ihres Vaters und den nicht enden wollenden Kampf ihrer Asháninka-Gemeinschaft für Anerkennung. Für ihren Mut und ihren Einsatz bekam sie Anerkennung und Zuspruch von vielen Menschen beim UN-Klimagipfel. Foto: Michaela Böttcher für GfbV

Der Einsatz, den indigene Umweltschützer für den Umweltschutz täglich aufbringen, muss berücksichtigt werden, weiß auch Mary Robinson, ehemalige Präsidentin von Irland. Zudem spricht sie indigenen Völkern eine zentrale Rolle bei der Lösung von Umweltproblemen zu: „Indigenes und lokales Wissen ist unverzichtbar beim Aufbau und Entwickeln innovativer, neuer Reaktionen auf den Klimawandel. Indigene Völker sind die Stimmen von der Front, aber sie besitzen auch das Wissen, die Werte und Ressourcen, die fundamental sind, wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen.“ Diese Idee wird von vielen, nicht nur im Indigenen-Pavillon diskutiert. Wie können Wissenschaft aus dem 21. Jahrhundert mit dem ursprünglichen, meist von Generation zu Generation mündlich überlieferten Wissen indigener Umweltschützer und Gemeinschaften verbunden werden, um einen nachhaltigen Umweltschutz zu gestalten? Chief John von der Cree Nation aus Alberta/Kanada erklärt, dass es in seiner Gemeinschaft uralte Überlieferungen und Prophezeiungen über den heutigen Klimawandel gebe. Sie erzählen von vertrocknetem Land, erwärmten Gewässern und toten Fischen. Er interpretiert sie als Aufforderung, dass wir endlich handeln müssen: „Unsere Generation und die Generationen vor uns haben keine gute Arbeit geleistet. Wir müssen es besser machen. Jetzt ist die Zeit für jeden von uns gekommen, sich für Umweltschutz einzusetzen.“ Die indigenen Umweltschützer beim UN-Klimagipfel sind bereit, gemeinsam mit Regierungen und Akteuren die Welt zu retten. Sie wissen, dass wir dabei keine Zeit verlieren sollten, und dass ein Klimaabkommen nur der erste Schritt eines langen Weges ist. Doch sie werden nicht aufgeben. Es geht um ihr Überleben. So ist es kein Wunder, dass die Asháninka Diana Rios am Ende mit Selbstbewusstsein und voller Überzeugung mitteilt: „Meine Geschichte ist lang. Sie ist noch nicht beendet. Sie geht weiter!“

[Update 16.12.2015]

In einer früheren Version des Textes wurde berichtet, dass Rodion Sulyandziga für den Dachverband der indigenen Organisationen der Russischen Föderation RAIPON arbeitet. Sulyandziga hat allerdings mittlerweile seine eigene Organisation CSIPN gegründet, für die er auch arbeitet.

[Zur Autorin]

MICHAELA BÖTTCHER ist Onlineredakteurin bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sie hat einen M. A. in Englischer Literaturwissenschaft und in Mittlerer und Neuerer Geschichte. Sie war für drei Tage während der Weltklimakonferenz in Paris.

Ein Gedanke zu “„Wir kämpfen gegen den Klimawandel. Wir kämpfen für die ganze Welt!“


  1. Ich denke, gegen den Klimawandel kann man nur dann wirkungsvoll etwas tun, wenn das Profitsystem, das die Ursache dieses Problems ist, durch eine international geplante Wirtschaft ersetzt wird, die den Lebensbedürfnissen aller auf der Welt lebenden Menschen dient und nicht dem privaten Profit einer kleinen Minderheit. Alle Klimagipfel nationaler Regierungen haben nichts bewirkt, um an dem Zustand unseres Planeten etwas zu ändern. Das World Socialist Web Site hat dazu deutlich und klar geschrieben.

    https://www.wsws.org/de/search.html?sectionId=workspace%3A%2F%2FSpacesStore%2Fb03b6719-6b02-4715-9881-bf8154a4333F&maxResults=100&phrase=Klimawandel&submit=Suchen

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