Bilanz des Schreckens für indigene Völker Brasiliens

Brasilien: Das ist Zuckerhut, Sonnenbaden an der Copacabana und Fussball. Doch der neue Bericht des Indigenenmissionsrats der Brasilianischen Bischofskonferenz CIMI zeichnet ein anderes Bild des südamerikanischen Landes: Landkonflikte, Selbstmord und Mord bestimmen den Alltag von Indigenen.

Von Yvonne Bangert; Foto: Wilfried Paulse

Bewaffnete setzen im Südwesten Brasiliens eine Siedlung der Kurusu Mba-Guaraní in Brand. Im Amazonasgebiet hören die Proteste der Munduruku gegen ein System von sage und schreibe sieben Großstaudämmen nicht auf. Die Bewohner von Altamira am Rio Xingu, die dem Belo-Monte-Staudamm weichen mussten, fühlen sich um ihre Kompensationsleistungen betrogen. Solche Schlagzeilen aus dem Land, das zwischen Fußball-WM 2014 und den Olympischen Sommerspielen 2016 doch eigentlich auf sein gutes Ansehen in der Welt bedacht sein sollte, begegnen mir fast täglich. Auch die offensichtlich weit verbreitete Korruption ist immer wieder Thema.

Und es kommt noch schlimmer. Monat für Monat starben im vergangenen Jahr mehr als zwanzig Indigene: Die Hälfte von ihnen wurde getötet, die anderen begingen Selbstmord, weil sie keine Hoffnung mehr auf ein besseres Leben hatten. Dokumentiert hat diese schreckliche Situation der Indigenenmissionsrat der Brasilianischen Bischofskonferenz CIMI, der auch schon mit unserem Menschenrechtspreis, dem Victor-Gollancz-Preis, ausgezeichnet wurde.

Zunehmende Gewalt, Armut und Hoffnungslosigkeit ergreifen das Leben vieler Indigener in Brasilien. Und mit jedem Jahr wird es schlimmer.

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Seit mehr als zwanzig Jahren legt CIMI regelmäßig Menschenrechtsberichte vor. Und jedes Mal wird die Gewalt gegen die Indigenen schlimmer. 2014 ist da leider keine Ausnahme. Das beweist der neuste Report, den CIMI jetzt vorgelegt hat. Der 180 Seiten starke Bericht ist – in den Worten des CIMI – „ein kollektiver Aufschrei der mehr als 300 indigenen Völker und der etwa 100 isoliert im Amazonasgebiet lebenden Indigenengruppen“.

Im Einzelnen dokumentiert CIMI 138 Morde an Indigenen und 135 Suizide. Dazu kommt eine sehr hohe Sterblichkeitsrate unter Kindern und Alten: 2014 waren es 785 Fälle. Besonders betroffen waren die Xavante und die Yanomami, die 116 bzw. 46 tote Kinder betrauern mussten. Überhaupt steigt die Kindersterblichkeit bei Indigenen in Brasilien jährlich. Das ist umso erschreckender, da die Sterblichkeitsrate bei Kindern weltweit seit 1990 halbiert werden konnte.

Obwohl es eins der Milleniumziele der Vereinten Nationen war, die Kindersterblichkeit bis 2015 um zwei Drittel zu senken, stieg die Zahl unter indigenen Kindern in Brasilien weiter an.

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Auch belegt der CIMI-Bericht, dass das Recht der indigenen Bevölkerung auf ihr eigenes Land in 118 Fällen verzögert oder gar nicht umgesetzt wurde. Das sind mehr als doppelt so viele Fälle gegenüber 2013. Wenn sich indigene Gruppen für ihre Rechte einsetzen, führt das oft zu Gewalt gegen sie. Denn Landkonflikte bildeten überwiegend den Hintergrund für die 138 an Indigenen verübten Morde. Die Botschaft: Wer Widerstand leistet, muss damit rechnen, dafür mit seinem Leben zu zahlen. Besonders gewalttätig war dabei, so der Bericht, die Lage im Bundesstaat Pará, in dem das umstrittene Wasserkraftwerk Belo Monte gebaut wird. Generell lässt der Report einen Zusammenhang zwischen staatlicher Verzögerungstaktik bei der Grenzziehung von indigenem Land und dem Bau von Wasserkraftwerken erkennen.

In der Selbstmordstatistik hält der Bundesstaat Mato Grosso do Sul weiterhin einen erschreckenden Rekord. Allein hier nahmen sich im vergangenen Jahr 48 zumeist junge Indigene das Leben. CIMI verweist dabei auf den starken Zusammenhang von Selbstmord, Rassismus und Landkonflikten. Viele Indigene leiden immens unter der aktuellen Situation, erleben tagtäglich eine Verschlechterung ihrer Lage und sehen schlussendlich keinen Sinn mehr in ihrem Leben.

Die Mord- und Selbstmordrate unter Indigenen ist weiter gestiegen. Einige werden wegen ihrer Proteste ermordet, andere sehen keinen Ausweg mehr aus ihrer hoffnungslos erscheinenden Situation.

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Diese Fakten sollten die brasilianische Regierung eigentlich aufrütteln. CIMI fordert deswegen in dem Bericht, dass eine indigene Wahrheitskommission von staatlicher Seite aus eingerichtet wird, um die schweren Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völkern in Brasilien ans Licht zu bringen. Denn vieles bleibt bislang im Verborgenen. Außerdem plädiert der Indigenenmissionsrat dafür, dass Informationskampagnen in ganz Brasilien umgesetzt werden. Denn so kann der Bevölkerung Respekt und Verständnis gegenüber den indigenen Gemeinschaften und ihren Verfassungsrechten näher gebracht werden. Eine Kampagne, die die Grundlage für eine gesellschaftliche Versöhnung sein könnte.

Hier gibt es den kompletten Bericht zum Nachlesen: CIMI-Bericht 2014

Quelle: Blickpunkt Lateinamerika – Autor: Bernd Stößel

[Zur Autorin]

YVONNE BANGERT ist seit mehr als 30 Jahren für die GfbV in Göttingen tätig, zunächst als Redakteurin der Zeitschrift “pogrom“ und der Internetseiten, seit 2005 als Referentin für indigene Völker.

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