Interview mit Larisa Khadipash – Aktivistin für die Aufnahme von Tscherkessen aus Syrien in Russland

Manarsha Isaeva, ehemalige Praktikantin der GfbV, die selbst aus Dagestan stammt,  führte in Moskau ein Gespräch mit Larisa Khadipash. Frau Khadipash organisiert mit anderen Freiwilligen Aktionen für die Sensibilisierung der öffenlichen Meinung für die Probleme der Tscherkessen, die aus dem syrischen Kriegsgebiet fliehen und in ihre historische Heimat im Nordkaukasus zurückkehren wollen. Diese Rückkehrerbewegung wird von der russischen Regierung nicht gerne gesehen. Obwohl sich tscherkessische Vereine und ganze von Tscherkessen bewohnte Dörfer in Syrien an die Russische Regierung wandten, gibt es keine positive Reaktion. Im Gegenteil  sorgte Ende Dezember 2012 die Stellungnahme des Direktors der Abteilung für Internationale Beziehungen, Alexander Zhuravskiy, aus dem Ministerium für Regionale Entwicklung für Empörung. Zhyravsky schrieb:  „Die Übertragung des im föderalem Gesetz definierten  Begriffs „Landesleute“ auf syrische Tscherkessen bedarf der  Rechtfertigung“. Würden die Tscherkessen als „Landsleute“ definiert, stünde ihnen die Rückkehr eher offen. Viele Jahre lang hatten die Tscherkessen am „Programm für Landesleute des Außenministeriums“ mitgewirkt. Sie nun auszuschließen, löste Proteste in Moskau, Maikop, Kabardino-Balkarien und in der Türkei aus. Am 31. Dezember, 2. Januar,  5. Januar und 25. Januar und 1. Februar wurde demonstriert.

Über die Organisation der tscherkessischen Bewegung in Moskau,  bürokratische Herausforderungen und  zukünftige Pläne  hat Manarsha Isaeva in Moskau mit der Koordinatorin der NGO „Tscherkessen – die Menschen der Welt“, Kuratorin der tscherkessischen Sprachkurse  und tscherkessischen Aktivistin in Moskau, Larisa Khadipash, gesprochen.

Larisa Khadipash

In den letzten Monaten waren die Tscherkessen in Moskau und weltweit mit ihren Protesten, Forderungen und Nachrichten sehr präsent. In den Medien liest man regelmäßig über neue Demonstrationen und andere Aktionen. Das alles wirkt wie eine gut organisierte Arbeit.  Wer steht hinter der tscherkessischen Bewegung? Wie wird die Bewegung  aus verschiedenen Orten der Welt  koordiniert?

Das ist vollkommen das Verdienst der  engagierten  Aktivisten.  Wir haben  zahlreiche aktive Leute in den USA, Europa, Russland,  in der Türkei und im Nahen Osten.  In Australien waren wir auch präsent. Einige Aktionen versuchen wir  zusammen vorzubereiten, wie zum Beispiel die Demonstrationen in verschiedenen Staaten am 23. September und am 21. Mai 2012, an den Gedenktag für die tscherkessischen Opfer des historischen Völkermords  1864. Meistens passiert es  spontan. Das kann nur eines bedeuten: Die Tscherkessen haben für sich entschieden, sich zu engagieren, auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Daher ist es unsere Verantwortung zu helfen und all unsere Kraft einzusetzen, wenn es um Leben und Tod von Menschen geht.

Gibt es denn eine Organisation in Moskau, die die Arbeit koordiniert? 

Es existiert  keine Organisation im strengen  Sinne des Wortes in Moskau, die alle Aktivisten vereint.  Die Berichte  in den Medien werden entweder von Teilnehmern an Aktionen geschrieben oder Journalisten befragen uns und schreiben dann über uns. Keiner wird dafür bezahlt. Alle Organisatoren der einzelnen Aktionen sind ansprechbar.

Das Internet trägt sicherlich zu Kommunikation  und Organisation großartig bei…

Das Internet spielt eine sehr bedeutende Rolle. Ohne Internet, glaube ich, wäre diese Arbeit kaum vorstellbar.  Es gibt Gruppen in den sozialen Netzwerken Vkontakte und Facebook, wo wir beabsichtigte Aktionen bekannt geben. Die Information wird auf den tscherkessischen Webseiten veröffentlicht.  Wir versuchen alle Mitteln einzusetzen, um möglichst vielen Menschen zu helfen. Einerseits durch die Teilnahme an den genehmigten Einzel-sowie Massen Mahnwachen und  Kundgebungen, andereseits  durch die gezielte Hlilfe für einzelne Personen in akuten Fällen.

Im Dezember 2012 kamen zehn Tscherkessen aus Syrien nach Russland,  fünf von ihnen wurden aber am Flughafen  Domodedovo aufgehalten und bald zurück nach Jordanien deportiert. Was ist das Schicksal dieser Menschen?

In den Zeitugsartikeln wurde als Grund für die Deportation die Unvollständigkeit der Unterlagen genannt. Meine inoffizielle Quelle berichtet  über einen Fehler in der Registration der Passagiere von Seiten der jordanischen Fluggesellschaft. Diese Information ist allerdings  unbestätigt. Die Russische Sicherheitsdienst (FSB) ist auf diese Tatsache aufmerksam geworden.  Fünf Personen, unter diesen auch eine altäre Dame (über 80 Jahre alt)  wurden zurück gewiesen. Unsere Politiker  im Nordkaukasus,  die Abgeordneten im Rat der Föderation und in der Staatsduma leisten bei solchen Problemen immer guten Beistand. Deshalb ist uns nicht klar, warum der FSB die Repatriierten ohne Klärung aller Einzelheiten wieder zurück nach Jordanien abgeschoben  hat. Auf die Anfrage in der jordanischen Botschaft kam die Nachricht, dass es sich um einen  formellen Fehler gehandelt habe.  Laut neusten Informationen   wird es versprochen, dass die fünf Personen nächstmöglich neue Visa nach Russland erhalten werden.

Die bereits im Nordkaukasus angekommenen Tscherkessen haben mit Schwierigkeiten wie mangelnden Russischkenntnissen, materiellen Problemen und schlechten Arbeitsaussichten zu kämpfen. Wie würden Sie ihre Lage beschreiben?

Bereits über 400 Tscherkessen aus Syrien leben heute in Adygeya und Kabardino-Balkarien. Sie haben Unterhalt sowie materielle Hilfe für die erste Zeit  bekommen.  Die Führung der Republiken Adygeya und Kabardino-Balkarien sowie die Bürger versuchen bei der  Lösung der noch bestehenden Schwierigkeiten zu helfen. Das sind an erster Stelle die Suche nach einem anständigen Job und ihr Wohlfühlen im Nordkaukasus. Die Repatriierten sind gebildete Menschen.  Fehlende Sprachkenntnisse erschweren die Jobsuche. Daher ist der einfache Zugang zu Sprachkursen eine Bedingung für die schnelle Integration in die Gesellschaft dort.

In Adygeya wohnen die Familien in den tscherkessischen Dörfern (gennant „Aul“), in Kabardino-Balkarien dagegen sind sie in einem Sanatorium untergekommen. Für schnellere Assimilierung und Wohlfühlen der syrischen Tscherkessen ist es notwendig, dass die Familien nicht isoliert vom Rest der Bevölkerung  leben.

Warum wollen noch viele Tscherkessen in den Nordkaukaus zurück, obwohl sie wissen, dass sie dort mit den beschriebenen Schwierigkeiten rechnen müssen?

Die Geschichte zeigt, wie tragisch das Los der Tscherkessen in vielen Orten, wo sie versucht haben ein Zuhause zu finden, ist. Nur den  Nordkaukasus können sie mit  Sicherheit ihr Zuhause nennen ohne dabei von anderen bedrängt  zu werden.

Wo sieht sich die tscherkessische Bewegung in der Zukunft?

Über 150 Jahre wurden  die Probleme unseres Volkes nicht angesprochen.  Ohne unsere Aufmerksamkeit kann die Erhaltung der Sprache und Kultur, die Verteidigug der Rechte von kleineren  Völkern in Russland und weltweit nicht zustande kommen. Aber heute liegt unser Fokus  primär auf zwei Sachen: möglichst baldige Aufnahme der syrischen Tscherkessen in der Russischen Föderation und die Hilfe bei der Integration  der Repatrierten in Kabardino-Balkarien und Adygeya. Tausende unserer Landesleute sitzen  heute im Kriegsgebiet fest, nur weil Russland Visa für sie verweigert hat.  Es schmerzt uns sehr, das beobachten zu müssen, ohne etwas tun zu können. Wir können da nicht wegschauen, bis jeder, der es möchte, die Möglichkeit bekommt, in die Sicherheit, in die Heimat zu kommen.

                Manarsha Isaeva

Moskau, Januar

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