Bolivien: Umstrittenes Autobahnprojekt durch Nationalpark mobilisiert indigene Völker zum achten indigenen Protestmarsch.

Knapp 2000 Menschen marschieren mittlerweile in Richtung des Regierungssitzes La Paz. Ungefähr 400 Angehörige der Yuracaré, Trinitario und Chimane starteten am 15. August 2011 im 600 km entfernten Trinidad, einer Provinzhauptstadt im nördlichen Tiefland und wollen am 28. September 2011 in La Paz ankommen. Diese Form des Protests hat in Bolivien Tradition. Seit 1990 dient sie den indigenen Völkern Boliviens als letztes Mittel, medienwirksame Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu schaffen. Der eigentliche Marsch markiert dabei immer erst den Endpunkt von gescheiterten Verhandlungen, die die Menschen aus ihren Dörfern und Familien buchstäblich auf die Straße treibt. Der Einsatz für die Teilnehmer ist hoch, denn die Versorgung mit Lebensmitteln und Medizin ist problematisch und das Klima extrem. Tatsächlich leiden die meisten Marschierenden unter grippalen Infekten oder Erkältung. Vor wenigen Tagen starb ein erst acht Monate altes Kind an einer Magen-Darm-Infektion.

Von Leif Höfler; Foto: indigener Protestmarsch in Bolivien. Copyright edsao

Konkreter Anlass für diesen achten Protestzug ist der kürzlich erfolgte Startschuss zum Bau einer Autobahn mitten durch den gesetzlich geschützten und ökologisch sensiblen, von verschiedenen indigenen Völkern bewohnten Nationalpark Territorio Indígena y Parque Nacional Isiboro Sécure (TIPNIS).

Angehörige der Yuracaré, Trinitario und Chimane befürchten die Zerstörung ihres Lebensraumes und pochen auf ihr von der Verfassung garantiertes Recht auf Selbstbestimmung. Bolivien hat alle wichtigen internationalen Schutzgesetze die indigene Bevölkerungsgruppen betreffen, in nationales Recht umgewandelt. Allerdings versagt der Staat oftmals in der Verwirklichung und Anwendung dieser Rechte. Eine Frau vom Volk der Chimane sagt: „Wir haben für diesen achten Marsch der indigenen Völker erneut viel Kraft aufgebracht. Jedes Mal wenn wir denken, dass wir nicht mehr marschieren werden, befinden wir uns schon wieder auf der Straße und das Traurigste dabei ist, dass wir Rechte einfordern, die bereits in der Verfassung geschrieben stehen.“

Der ländlich geprägte abgelegene Norden des Landes soll durch die Infrastrukturmaßnahmen wirtschaftlich aufgewertet werden. Neben den unmittelbaren Zerstörungen der Natur durch den Bau und Betrieb der Autobahn an sich, werden vor allem die Begleitumstände des Projektes befürchtet: die Öffnung der Dörfer und Städte für die Drogenmafia, Industrie und die Entwicklung eines Transport- und Geschäftwesens, das die traditionelle Lebensweise zu marginalisieren droht.

Bislang begegnete Boliviens Präsident Juan Evo Morales Ayma den Anliegen der Protestierenden mit stoischer Ignoranz. Anstatt in einen positiven Dialog einzutreten, war die Regierung von Anfang an bemüht, die Motive der Demonstranten zu verunglimpfen. So wurde den Protestierenden vorgeworfen, sie würden im Auftrag europäischer Nichtregierungsorganisationen und der US-amerikanischen Botschaft handeln. Für die Finanzierung hat sich die Regierung Morales den Großteil des Geldes von der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES geliehen. Mit der Umsetzung des Projekts steht und fällt seine Integrität als internationaler Geschäftspartner. Dieser Umstand macht verständlich, warum eine Lösung des Konfliktes so schwer fällt.

Am 2. September 2011 erreichte der Marsch die Stadt San Borja, wo ein Regierungskomitee den Delegierten der Protestierenden ein Vermittlungsangebot unterbreitete, das als substanzlos und exklusiv zurückgewiesen wurde. Es wurden sechs Änderungen der Straßenführung vorgeschlagen, die aber alle innerhalb des Nationalparks TIPNIS verliefen und damit die wichtigste Bedingung für die dort lebenden Völker, dass die Autobahn außerhalb des Nationalparks gebaut wird, unbeachtet ließ. Am folgenden Montag wurde der Marsch fortgesetzt. Um die Gespräche wieder aufnehmen zu können, öffnete sich die Regierungskommission daraufhin erstmals für die Möglichkeit die Trasse der Autobahn so anzulegen, dass sie nicht die Integrität des schutzbedürftigen Nationalparks verletzen würde. Allerdings forderten die Regierungsabgeordneten die Indígenas auf, ein Konzept für eine solche Alternativlösung vorzulegen, dass sich im Rahmen der finanziellen Vorstellungen der Regierung bewegen sollte. Die Marschierenden lehnten dies ab; sie hätten diese Straße nie gewollt und sähen daher auch keinen Anlass, jetzt einen Projektentwurf dafür zu entwickeln.

Unterdessen werden immer wieder Versuche unternommen, den Zug der indigenen Völker mit Straßensperren oder dem Abschneiden der Versorgungswege zu blockieren, denn Interessengruppen wie zum Beispiel die Kokabauern erhoffen sich von der Autobahn logistische Verbesserungen für ihre Geschäfte. Derartige Interessenkonflikte lassen sich auf grundsätzliche Unvereinbarkeiten zurückführen, die sich in einem plurinationalen Staatsgebilde zwangsläufig ergeben und dabei die Schwierigkeiten Bolivien zu regieren sichtbar machen. Natürlich muss Morales auch wirtschaftlich denken, allerdings haben viele Protestler grundsätzlich gar nichts gegen den Bau dieser Autobahn einzuwenden. Es geht ihnen in erster Linie darum, dass sich die Regierung für eine Alternativroute entscheidet, die nicht quer durch den TIPNIS-Nationalpark verläuft. Bevor diese Forderung nicht berücksichtigt wird, werden die Protestierenden nicht klein beigeben. Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass sich der Konflikt immer weiter verschärfen wird. Ohne essentielle Zugeständnisse der Verantwortlichen wird der Marsch nicht stoppen. Für mögliche Unfälle und Zwischenfälle wird die Regierung direkt verantwortlich gemacht werden. Morales wäre deshalb gut beraten, sich auch persönlich mit den Demonstrierenden zu treffen und aktiv auf eine Lösung hinzuarbeiten.

Ein Gedanke zu “Bolivien: Umstrittenes Autobahnprojekt durch Nationalpark mobilisiert indigene Völker zum achten indigenen Protestmarsch.


  1. Ein informativer Artikel,der die verschiedenen Interessen-und Konfliktgruppen
    aufzeigt und darüber hinaus die immensen Gefahren für die indigenen deutlich macht.

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